Zuge­ge­ben: Wir leben in einer zuneh­mend indi­vi­dua­li­sier­ten Zeit. Das gilt für fast alle Berei­che unse­res Lebens. Sicher auch für den Bereich unse­res Glaubens.

Ich beto­ne: Mir geht es weni­ger dar­um, dass das lang­jäh­ri­ge Para­dig­ma, dass Frei­kirch­ler inner­halb der Gemein­de oder allen­falls inner­halb der nächs­ten Gemein­den glei­cher Kon­fes­si­on oder der Nach­bar­kon­fes­sio­nen hei­ra­te­ten, und somit Gemein­de­le­ben im wört­li­chen Sin­ne eine Sache der »Schwes­tern und Brü­der« in Chris­tus war oder wur­de. – Dies Modell kam vor eini­gen Jahr­zehn­ten zu einem Schluss­punkt: Die Mobi­li­tät aller war gestie­gen: Aus­bil­dung, Stu­di­um und Beruf erfor­der­ten manig­fa­che Orts­wech­sel. – Für vie­le geschah die Part­ne­rIn­nen­wahl nicht mehr über den Jugendkreis.

Es ging noch wei­ter: In der Pha­se, in der klei­ne Kin­der fast alle Kräf­te der erwerbs­tä­ti­gen Eltern auf­fra­ßen, war gar nicht an Gemein­de zu den­ken. – Und dann sucht man in der Groß­stadt nach (nicht allein) kon­fes­sio­nell pas­sen­den Ange­bo­ten, son­dern (eben auch) nach sol­chen, die mög­lichst mit dem Fahr­rad und mit Park­platz vor der Kir­chen­tür erreich­bar sind. – In der Groß­stadt mit wei­tem Ein­zugs­be­reich sind die­se Wün­sche nicht ein­fach erfüllbar.

Dar­über sind in den letz­ten zwan­zig bis drei­ßig Jah­ren vie­le zu Jägern und Samm­lern gewor­den, was die Gemein­de angeht: Man nimmt man­ches in der Orts­ge­mein­de wahr, zu der man nicht gehört. Ande­res in der eige­nen (Frei-)Kirche, bei der aber nicht mehr qua­si 100 % der Gemein­de­glie­der sonn­täg­lich zuge­gen sind.

Urlaub, Sport und Hob­bys machen es eher zu einer unter zahl­rei­chen Optio­nen. Das Strich­wort lau­tet Ver­bind­lich­keit. Die näm­lich ist zuneh­mend weni­ger gege­ben. Das war vor vier­zig oder fünf­zig Jah­ren eben­so in den gro­ßen Kir­chen. Ist also nicht struk­tu­rell neu.

Dass aber bei unse­rem Tanz auf vie­len Hoch­zei­ten die kon­kre­te Gemein­schaft mit den kon­kre­ten ande­ren mög­li­cher­wei­se auf der Stre­cke bleibt, das ist nicht von der Hand zu weisen.

Ich mei­ne aber, dass wir kon­kre­te Gemein­schaft brau­chen. Dass wir regel­mä­ßig unse­ren Glau­ben nicht nur allein oder in der Fami­lie leben, son­dern auch mit kon­kre­ten ande­ren, die mit uns unter­wegs sind. Ob in einer klei­nen Grup­pe, in einem Haus­kreis, einer Grup­pe in der Gemein­de oder wie auch immer. – Ohne dies heißt Glau­ben zu leben leicht, dass wir Ein­sied­ler wer­den oder sein müs­sen. Und dazu sind die wenigs­ten geboren.

Kurz­um: Ohne die kon­kre­te Gemein­schaft mit eini­gen ande­ren besteht das hohe Risi­ko, dass uns der Glau­be abhan­den kom­men kann. Dass der All­tag uns über­rennt. Es ist ja immer etwas, meist auch etwas, das wich­tig ist. Und dann bleibt vom Glau­ben allen­falls ein Ritu­al (»zu Gott beim Früh­stück, zwi­schen Kaf­fee und Bröt­chen, eben mal ›Dan­ke‹ gesagt.«)

Ich mei­ne, dass das zu wenig ist. Zu wenig für uns selbst, aber auch zu wenig für Gott. So geht Nach­fol­ge als geleb­te Got­tes­be­zie­hung eben nicht.

Wie aber geht es dann: Ich mei­ne, dass hier wie in ande­ren Lebens­be­rei­chen ein metho­di­sches Vor­ge­hen hilft. Ich brau­che reser­vier­te Zei­ten für die Bezie­hungs­pfle­ge mit Gott. Wenn ich ein Buch lesen möch­te, wird das nichts, es sei denn, ich hal­te mir kon­kre­te Zei­ten dafür frei. Wenn ich in der Bibel lesen möch­te, geht auch das nicht, es sei denn, ich hal­te mir dafür Zei­ten frei. Am bes­ten mit einem ent­spre­chen­den Ein­trag im Kalen­der. – Wenn ich das Gebet als aus­bau­fä­hig emp­fin­de, dann soll­te ich Orte, Zei­ten, Ritua­le schaf­fen, um mit dem Dia­log mit Gott vor­an­zu­kom­men. Zum Bei­spiel abend­li­che Spa­zier­gän­ge (und dann ohne Kopf­hö­rer) zum Beten. Oder zu einer ande­ren kon­kre­ten Zeit; idea­ler­wei­se täglich.

Ich soll­te mir aber auch für die ande­ren Chris­ten­men­schen und die gemein­sam geleb­te Nach­fol­ge Zeit neh­men, den­ke ich, denn die Pre­digt als weit­ge­hen­der Mono­log ist kein Ort, an dem mei­ne Fra­gen kon­kret vor­kä­men oder beant­wor­tet wer­den könn­ten. Ein Haus­kreis ist da sehr viel bes­ser geeig­net. Viel­leicht auch eine Zwei­er­schaft, also eine regel­mä­ßi­ge Zeit mit einem oder einer ande­ren Chris­ten­men­schen, um uns aus­zu­tau­schen, um gemein­sam wei­ter­zu­kom­men, um mit­ein­an­der auch zu beten.

Das klingt viel­leicht in den Ohren und aus der Per­spek­ti­ve der gro­ßen Kir­chen über­aus ambi­tio­niert. Ich glau­be, dass es mit weni­ger nicht gehen kann, wenn wir mehr wol­len, als einen Bestands­er­halt bis zum Ruhe­stands­al­ter der­je­ni­gen, die jetzt haupt­amt­lich arbei­ten. – Dar­un­ter aber ver­ste­he ich nicht den Bau des Rei­ches Got­tes. Da glau­be ich, dass Gott etwas mehr schon erwar­ten kann.

Wenn jemand in jun­gen Jah­ren wenig weiß und ver­steht: Geschenkt. Wis­sen kann man nach­ho­len, wenn man das denn möch­te. Die Lust auf geist­li­ches Wei­ter­kom­men, aber soll­te m.E. metho­disch ange­gan­gen wer­den. – Und das ist kein Pro­zess, der mit unser eige­nen Tau­fe, unse­rem eige­nen Glau­ben ein Ende erreicht hät­te: Ganz im Gegen­teil, da(mit) geht es erst los, bzw. da geht es weiter.

Wer her­aus­fin­den möch­te, ob Glau­be für ihn oder sie passt, ist herz­lich zum Mit­ma­chen in der Nach­fol­ge ein­ge­la­den: Wie sonst soll­ten wir her­aus­fin­den, ob wir Got­tes Stim­me hören? Daher fin­de ich die Jugend­haus­krei­se viel wich­ti­ger als den Kirch­li­chen Unter­richt. Sicher: Der ist nicht ver­kehrt! Aber eben nicht hin­rei­chend. Denn mit 14 Jah­ren sind wir nicht fer­tig, nicht ein­mal als Chris­ten­men­schen. Wenn jemand merkt: Das ist nicht mein Ding, das passt nicht zu mir, dann wird die­ser Mensch weg­blei­ben. Hat viel­leicht gute Kon­tak­te mit lie­ben Men­schen gepflegt. Das ist in Ord­nung. Wenn es aber dazu kommt, dass Gott uns anspricht, dann haben wir schon einen Rah­men, in dem wir Glau­ben leben kön­nen. Hof­fent­lich passt die­ser auch weiterhin!

Wir sind ja ange­hal­ten, dass unser Glau­be sich mit uns ent­wi­ckelt. Wie das beim Erwach­sen­wer­den geht, so muss auch unser Glau­be erwach­sen wer­den. Dann passt ver­mut­lich unser Kin­der­glau­be nicht mehr zu uns. Nicht dass der falsch war. Aber: So wie wir in der Grund­schu­le von Ele­men­tar­ma­gne­ten hören, so hören wir von elek­tro­ma­gne­ti­schen Fel­dern, wenn wir dies fas­sen kön­nen, und wer Phy­sik stu­diert, wird noch ganz ande­re Model­le zu den­ken ler­nen. Wich­tig ist: Es geht um Rede- und Denk­wei­sen, nicht um die Welt oder Gott an sich. – War­um soll­ten wir nicht im Glau­bens­le­ben auch unter­schied­li­che Model­le oder Para­dig­ma­ta zu glau­ben ler­nen? Wie jede Bezie­hung, so darf auch unser Glau­be wach­sen; vom Kin­der­glau­ben zu einem Erwach­se­nen­glau­ben. Vom nai­ven zu einem nach-nai­ven Glauben.

Das setzt eine Offen­heit fürs Gegen­über vor­aus: Kon­kret eine Offen­heit dafür, dass Gott uns über­rascht. – Wenn wir da ängst­lich ran­ge­hen, dann kann das nicht gelin­gen. Und: Es ist sehr anstren­gend, die­sen Glau­bens­weg allein zu gehen. Viel ein­fa­cher ist es mit kon­kre­ten anderen.

Allen denen, die also bis­her viel­leicht sich aus ihren Gemein­den zurück­ge­zo­gen haben, lege ich nahe: Fragt Euch doch ein­mal, ob es eine Chan­ce gibt, mit eini­gen weni­gen ande­ren Chris­ten­men­schen gemein­sam sich regel­mä­ßig zu tref­fen. Ob nun wöchent­lich oder ein­mal monat­lich: Wie es für Euch passt. Die Form ist weni­ger wich­tig als die Ehr­lich­keit, sich auf­ein­an­der ein­zu­las­sen, wech­sel­sei­tig Rechen­schaft zu geben von der Hoff­nung, die in uns ist. Ob da nun ein Bibel­text vor­kommt, ein Lied, alles das ist mög­lich. Gut ist es, wenn Ihr gemein­sam beten könnt und das auch zwi­schen den Tref­fen für­ein­an­der tut. Und: Ihr dürft gern mal nach­fra­gen, wenn Schrit­te und Ent­schei­dun­gen im Leben der je ande­ren anstanden.

Glau­ben ohne kon­kre­te Gemein­schaft ist viel müh­sa­mer als mit einer sol­chen. – Das macht für mich Gemein­schaft und auch Gemein­de unverzichtbar.