Ges­tern wur­de im Weih­nachts­got­tes­dienst vom Pas­to­ren gefragt, wer denn am Hei­li­gen Abend Würst­chen udn Kar­tof­fel­sa­lat geges­sen habe. Zwei hoben eine Hand. Nun möch­te man gar nicht wis­sen, wie Würst­chen oder Geset­ze gemacht wer­den, wenn ich mich recht erin­ne­re, war es Ade­nau­er, der dies sagte.

Mich reg­te die Fra­ge an, dar­über nach­zu­den­ken, wel­che Funk­ti­on, wel­chen Sinn und Zweck regel­mä­ßi­ge Wie­der­ho­lun­gen wie etwa das Kir­chen­jahr mit sei­nen Fes­ten haben kön­nen. Anders gesagt: Wie­so wie­der­ho­len wir die Christ­ge­burt im Rind­vieh­stall (Erich Müh­sam), war­um fei­ert das Volk, dem es geschah, lie­ber Cha­nuk­ka? Bei­des aber regel­mä­ßig und jährlich?!

Inzwi­schen haben wir doch die Ent­my­tho­lo­gi­sie­rung längst hin­ter uns: War­um hal­ten wir dann fest an es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von Kai­ser Augus­tus aus­ging, dass alle Welt geschätzt wür­de? – Wir gehen mit größ­ter Wahr­schein­lich­keit davon aus, dass der Weih­nachts­ter­min erst spä­ter auf die Zeit (belegt ab 336 in Rom) nach dem Son­nen­wend­fest gelegt wur­de, die astro­no­mi­sche Kon­junk­ti­on aber ver­mut­lich im Früh­jahr statt­fand. In Ägyp­ten fei­er­te man anfangs am 19. oder 20. April – gut, dass die­ser Kelch an uns vor­über­ge­gan­gen ist; das hät­te »Füh­rers Geburts­tag« eine ganz neue und noch weni­ger ange­mes­se­ne Bedeu­tung beigegeben.

Es gibt Ritua­le, die uns hel­fen. Gemein­sam zu früh­stü­cken ist ein gutes Fami­li­en­ri­tu­al, wo es passt. Wie­der­ho­lun­gen hel­fen uns, sicher. In einem Arti­kel las ich neu­lich, dass die Rei­se­jour­na­lis­tin sich an Fami­li­en­ur­lau­be gern erin­ner­te, immer an den glei­chen Ort. Man wuss­te, wie alles ist, schau­te, was sich ver­än­dert hat­te in dem einen Jahr, seit man da war.

Wie ist das mit unse­rem Glau­ben: Braucht auch der die Fes­te und das Kir­chen­jahr (respek­ti­ve den Jah­res­kreis), um gleich­sam die höhe­re oder tie­fe­re Bedeu­tung in der Wie­der­ho­lung all­mäh­lich zu ent­de­cken? Sicher ist eine gewis­se Wie­der­ho­lung hilf­reich für eine Ein­übung. Das wis­sen glei­cher­ma­ßen Sol­da­ten, die ihr Sturm­ge­wehr mit ver­bun­de­nen Augen zer­le­gen und wie­der zusam­men­set­zen kön­nen, aber auch der, der eini­ge tau­send Fil­me im Stock­dus­tern in die Ent­wick­lungs­do­se ein­ge­spult hat. Alle, die Auto fah­ren, haben üben müs­sen, die Kupp­lung (so das Auto eine hat) in rech­ter Art und Wei­se zu bedienen.

Was üben wir Weih­nach­ten ein? Doch wohl kaum die Weih­nachts­er­zäh­lun­gen nach dem Lukas­evan­ge­li­um und nach Mat­thä­us, denn die kön­nen wir inzwi­schen qua­si aus­wen­dig. Gibt es ein defi­nier­tes Ziel, so wie die Fahr­prü­fung beim Füh­rer­schein? Doch wohl kaum.

Han­delt es sich um einen per­for­ma­ti­ven Sprech­akt, wenn die Weih­nachts­ge­schich­te jähr­lich ver­le­sen wird? Ist die Bot­schaft letzt­lich die des Evan­ge­li­ums ins­ge­samt: Gott wirkt in der Welt und in die Welt hin­ein, und zu Beginn die­ser Wirk­sam­keit ist es unauf­fäl­lig und unscheinbar?

Spre­chen wir uns das qua­si als Selbst­ver­ge­wis­se­rung zu? Seit bald zwei­tau­send Jah­ren? Haber­mas beton­te immer wie­der, dass vor-moder­ne Gesell­schaf­ten ihre Deu­tun­gen aus der Reli­gi­on bezo­gen, dies aber in der Moder­ne nicht mehr mög­lich sei. Sie­he ins­be­son­de­re das unvoll­ene­de­te Pro­jekt der Moder­ne. Wenn wir also Weih­nach­ten so bege­hen, als kön­ne durch die all­jähr­li­che Wie­der­ho­lung des Krip­pen­spiels gleich­sam die böse Moder­ne zurück­ge­drängt wer­den, so leh­ne ich dies ent­schie­den ab.

Die Fei­er des Weih­nachts­fests ist eben kei­ne selbst-erfül­len­de Pro­phe­zei­ung. Eine rei­ne Erin­ne­rungs- und Muse­ums­me­ta­pher fin­de ich ande­rer­seits nicht pas­send. Wir mer­ken ja zwar, wie viel bes­ser wir dran sind als damals das Paar Maria und Joseph. Ande­rer­seits muten wir Fami­li­en und Ein­zel­nen – nicht nur auf Les­bos – noch wid­ri­ge­re und men­schen­feind­li­che­re Zustän­de zu; und dies nicht nur zur Weihnachtszeit.

Was bewirkt denn nun der Sprech­akt (so es einer ist), die Weih­nachts­ge­schich­te all­jähr­lich zu ver­le­sen? Wenn wir ein­mal von R. Bar­thes Tod des Autoren aus­ge­hen, also davon, dass die Absicht des Ver­fas­sers uner­heb­lich ist für die Wir­kung bzw. Bedeu­tung eines Tex­tes wie unse­rer Weih­nachts­er­zäh­lung, was folgt dann? Was ist die zuge­schrie­be­ne Rezep­ti­on heu­te, 2022 oder 2023? – Ver­mut­lich ist es nicht mehr die eine Bedeu­tung oder Funk­ti­on, son­dern eine höchst indi­vi­du­el­le Fül­lung, die Ein­zel­ne jeweils dem Fest zumes­sen: Die Erin­ne­rung an die Weih­nachts­fes­te der Kin­der­zeit, die Fra­ge, ob es um mehr als um Glüh­wein und Geschen­ke geht, die Erin­ne­rung an die Bedürf­tig­keit von Fami­li­en, damals wie heute.

Für man­che gehört die Erin­ne­rung an Got­tes Mensch­wer­dung im Stall dazu – als Beginn der Erzäh­lung des Evan­ge­li­ums. Weih­nach­ten und das Kir­chen­jahr sind wie vor­ge­le­se­ne Mär­chen, die Kin­der nach ein­ger Zeit mit­spre­chen kön­nen. Jeder Teil trig­gert das gesam­te. – Inso­fern pars pro toto.

Für ande­re mag der Rhyth­mus des Kir­chen­jahrs und damit das Alle-Jah­re-Wie­der wie sonst bei Fes­ten und Ritua­len der Sekt zur Begrü­ßung und der Kaf­fee nach dem Essen dazu­ge­hö­ren. Man stellt es nicht in Fra­ge, jedes der Ele­men­te allein hat kei­ne merk­li­che Bedeu­tung, aber: Wenn es kei­nen Kaf­fee gäbe, dann fehl­te deut­lich etwas. Das aber merk­te wir erst, wenn es eine Abwei­chung vom inter­na­li­sier­ten Ablauf gäbe. Der Zweck von Lit­ur­gie im ein­zel­nen Got­tes­dienst und dem Kir­chen­jahr respek­ti­ve Jah­res­kreis besteht ja gera­de dar­in, eine Ver­traut­heit mit Bekann­tem her­zu­stel­len. Dem gegen­über ste­hen die wech­seln­den Ele­men­te, das Pro­pri­um der Sonn­ta­ge (das sich aber auch im Tur­nus wie­der­holt) und die Pre­digt als spe­zi­fisch für die Situa­ti­on des Augen­blicks pas­sen soll.

Ich fas­se zusam­men: Letzt­lich weiß ich nicht, ob es erfor­der­lich ist, Weih­nach­ten jähr­lich zu fei­ern, zu erin­nern, zu wie­der­ho­len, ande­rer­seits geht es uns, die wir so abge­rich­tet und dres­siert sind, so: Es kann nicht gut feh­len. Rou­ti­nen haben etwas unge­mein Berüh­igen­des. Ande­rer­seits mei­ne ich, dass Gott gut ohne die­ses Ritu­al und ohne regel­mä­ßi­ge Wie­der­ho­lun­gen auskommt.