Das Gespräch vor der Ordination…
Ein befreundeter Pastor im Ruhestand in der Hannoverschen Landeskirche erzählte mir einmal, wie er im Gespräch vor seiner Ordination mit einem sehr frommen ostfriesischen Landessuperintenden in dessen Amtszimmer zu Gast war. Demonstrativ hatte der Landessuperintendent (also so eine Art Regionalbischof) den dicken Band der Bekenntnisschriften der Evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland auf den Schreibtisch gelegt. Das ist ein dickes Buch mit über 1.300 Seiten.
»Wie halten Sie’s, lieber Brunder«, so fragte der LaSup, »mit dem Bekenntnis unserer Kirche?« – Dem Manne war schon klar, dass das bei seinem jungen Vikar, der nun bald Pastor werden sollte, keinen besonders geeigneten Kandidaten für eine Bekenntnisbewegung am Tisch hatte. – Nach kurzem Schreckmoment antwortete der (inzwischen lange im Ruhestand befindliche) Pastor: »Lieber Herr Landessuperintendent, nicht anders als mit dem Worte Gottes: entmythologisiert!«.
Mein Hebräischlehrer…
Ernstens ist das so schön, dass es der Nachwelt überliefert werden sollte, finde ich. Zweitens ist es aber auch so, dass es meine Abneigung zu einem bestimmten Umgang mit Dogmatik, die sie versucht überzeitlich absolut zu setzen, bestätigt. – Zu Schulzeiten sagte mein (sehr mystisch denkender) Hebräisch-Lehrer, auf den Aussprüche zurückgehen wie: »Erst was zur Sprache kommt, das kommt zur Welt« schon: »Mit meinem Dogmatik-Kollegen spiele ich gerne Schach, aber ich spreche nie mit ihm über Theologie.« – Was er nicht sagte, aber wohl dachte: »Davon, von Gott, versteht der Dogmatik-Kollege nichts.«
Für einen Mystiker ist Dogmatik, also die Festlegung Gottes in einem menschlich erdachten System, an sich Sünde. So geht man nicht mit dem Heiligen um. Das ist wie Dreisatz für die Schule: Die Schönheit höherer Mathematik kommt darin nicht zur Geltung. Alles zu trivial.
Kirche als Business in USA und anderswo
Kurzum: Es ist für viele unstrittig, dass es eine verantwortete Umgangsweise mit Gott, mit der Bibel, mit der Lehre der Kirchen usw. braucht. Diese Umgangsweise kann nur zu leicht zum Selbstzweck werden. Dann läuft sie an Gott völlig vorbei. Dann wird eine Freikriche mit Pastor Larry ein Business. Wenn er nur hinreichend schnell genug Leute finden, die seinen Predigtstil schätzen, dann hat er die Chance eine Megachurch zu errichten. Musik und alles andere sind dann ein Investment, so wie eine Firma in ihren Maschinenpark investiert. Hin-und-wieder muss man neue Räumlichkeiten anmieten, expandieren.
Das wäre meinem früheren Hebräischlehrer ebenso undenkbar wie unheimlich gewesen. – Und dem Entmythologisierungsfan aus der Einleitung ebenso. Zu leicht passiert es, dass wir genau zu wissen meinen, was Gott möchte. – Das übrigens war es, was die Pharisäer und Jesus so oft in Auseinandersettungen brachte. Sie meinten zu wissen. – Nichts hatten sie verstanden. Gott entzog sich ihren hübschen Gelehrsamkeiten. Gott-sei-Dank.
Ein besonders schöner Parallelismus Membrorum in einem Psalmvers konnte meinen Hebräischlehrer zu Tränen rühren. Und er bedauerte alle, die für die Schönheit, die Eleganz, die Sprache keine Augen hatten und keinen Sinn. – Ihm danke ich meinen frühen Kontakt mit manchen Mystikern des Mittelalters und auch der Gegenwart. Auch auf Tilmann Mosers Gottesvergiftung wies er mich hin.
Bibel und Bekenntnis sind keine Kursbücher
Ich denke manchmal, dass die, die so entschieden und teils fundamental wettern, weil sie genau zu wissen meinen, was Gott möchte, dass wir es tun sollen, die sich selbst da so gewiss sind, dass sie es ergriffen haben, dass die so viel verpassen, an schlechthinniger Abhängigkeit von Gott und auch von der Schönheit des Simplexen – so heißt das Blog vom verstorbenen Karsten Schmelzer, einem Pastor bei den Jesus Freaks in Remscheid.
Es kann sein, dass beide Typen von Menschen, die mit klarer Linie und ebensolcher Kante (wie Olaf Latzel oder Dr. Wolfgang Nestvogel) und die Mystiker und Spiritualisten gleichermaßen von Nöten sind. Meine Sympathie gehört den Mystikern und denen, die mehr offene Fragen haben als klare Antworten. Denn die meisten sind um den Brunnen herum, niemand aber ist im Brunnen.
»Logion 74
Jesus sprach: ›Oh Herr, es sind viele um die Zisterne herum, es ist aber niemand in der Zisterne.‹« (so steht es im Thomasevangelium)
Wenn ich mir heute die fromme Welt in den Medien ansehe (und ich gebe sofort zu, dass dies nur ein kleiner Teil der frommen Welt ist), dann ist es dort mehrheitlich eine evangelikal-charismatische oder fundamentale Art und Weise, in der von Gott gesprochen wird. DIe anderen Sprech- und Lebensweisen kommen leider sehr kurz.
Berger und Bultmann…
Insofern hilft vermutlich eher Klaus Bergers Remythologisierung, denn beim Bultmann-Programm der »Entmythologisierung« bleibt am Ende wenig übrig.
Zwar schrieb Bultmann zutreffend:
»Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.«
Andererseits ist die Handlung eines Gedichts oft trivial, denn ohne die Form, in der es spricht, fehlt eine Dimension und leicht wird es flach. – Nun zurück zum Anfang: Mit dem Pastor, der vor seiner Ordination von seinem Landessuperintendenten befragt wurde, habe ich mit einigen anderen einen Literaturgottesdienst gestaltet, der mir mehr vermittelte von Gott als jede kenntnisreiche dogmatische Lehrpredigt.
Entmythologisierung als linguistic turn
Ich meine, dass wir mit dem Projekt der Entmythologisierung eine entscheidende Wende zumindest eingeleitet haben: die zur Sprache als Medium und damit auch als Mittel der Theologie. Mystiker schweigen, Charismatiker ruhen im Geiste oder brechen in Glossolalie aus. Theolgie bedeutet eben im Mittel der Sprache von und mit Gott zu handeln. Andere werden christliche Dichter, wenn es denn so etwas Unmögliches gibt. Ja, ich denke an Jochen Klepper. Dieser linguistic turn ist nicht mehr wegzudenken. Wir spielen da Sprachspiele. Wir reden so von Gott, als wäre er ein Objekt unserer Kennzeichnungen, dabei ist er das erste Subjekt, bestenfalls Gegenüber. Er rief die Welt ins Dasein. Die Ich-Du-Relation ist die angemessene Weise der Gottesbegegnung.
Insofern habe ich Sympathie für das Projekt, die Bekenntnisschriften zu entmythologisieren, und damit meine ich: Wir sollten uns bewusst zu machen versuchen, was da an Sprache wie benutzt ist, um damit welchen Gedanken aus der Zeit vor 1580 auszudrücken. Allzuoft bedeutet »Entmythologisierung« eine Auflösung. Hier geht es aber gerade nicht darum, sondern um die Anwendung aller verfügbaren Werkzeuge zur Verstehen: Semantik, Semiotik, Hermeneutik und viel Sprach- und Begriffsgeschichte.
Alternativ könnten wir auch poetisch mit den Ambinuitäten, den Mehrdeutigkeiten der biblischen Texte und der unseres eigenen christenmenschlichen Lebens vor Gott und den Menschen, verantwortlich umzugehen versuchen. Das wäre weniger wissenschaftlich, aber auch nicht schlecht. Einen platten Fundamentalismus brauchen bloß die, die sich zu letzterem nicht trauen und zu ersterem zu träge sind.
Dass nicht alle die Botschaft verstanden und angenommen haben, ist kein Phänomen der Neuzeit/unserer Zeit; das war schon immer so. Der Glaube ist eben nicht Jedermanns Sache. Insofern hat Bultmann nur einen alten Hut abgestaubt.
Die Frage ist heute wie damals:
Vertraue ich der Botschaft der Bultmanns, d. h. deren Wort, — wohin gelange ich dann? Mir scheint, nur bei mir selbst. Ich drehe mich also im Kreise. Das Verfallsdatum dieser Botschaft ist längst überschritten. Seit Bultmann diese Botschaft in die Welt gesetzt hat, sind weltweit viele hoch gebildete Männer und Frauen unserer aufgeklärten Zeit aufgrund des angeblich nicht mehr verständlichen Wortes Gottes zum lebendigen Glauben durchgedrungen. Und das geschieht auch heute noch und auch in unserem Lande.
Die andere Alternative ist: Vertraue ich dem ewigen unveränderlichen Wort Dessen, der gesagt und bis heute vielfach erwiesen hat ( s. z. B. Apg 2,22): Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. (Joh 14,6).
Für mich ist das keine Frage: Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn nachfolgen und vertrauen (Jos 24,15). Sein unveränderbares Wort ist das Licht auf meinem Wege (Ps 119,105). Wer bin ich, dass ich es wagen könnte, das Wort zu nehmen gegen IHN (Röm 9,20)! Mein Platz ist unter dem Wort, nur damit komme ich sicher ans Ziel.
Ich weiß, letztlich ist ein solcher Austausch von Argumenten ziemlich unfruchtbar, eine Grat-wanderung. Für eine kurze Wegstrecke kann man sich wohl darauf einlassen.
Mit herzlichem Gruß
Jaro
Ich halte für zutreffend, was die Aussage Bultmanns ist, dass nämlich die Verkündigung in der Gegenwart (schon seiner Zeit, um so mehr unserer Zeit) schwierig bis unmöglich wird. Sicher gibt es viele, für die dies Modell weiter passt. Es werden dies aber weniger, denn mehr und mehr so genannte »moderne Menschen« denken eben nicht in einem mythologischen Weltbild, sie können dies nicht einmal verstehen als eine Sprache der Zeit vor knapp 2.000 Jahren.
Mir geht es nicht darum, dass Bultmann inhaltlich recht habe mit der Entmythologisierung, denn das ist ein im Kern reduktionistisches Programm, wie bereits Bonhoeffer m.E. zutreffend feststellte. Bonhoeffer wollte christologisch denken und nicht reduktionistisch. Andererseits meine ich, dass Bultmann zutreffend beschreibt, warum viele nicht einmal hören und verstehen können, was gepredigt wird. Daraus folgt m.E. nicht, dass die Inhalte der Predigt »entrümpelt« werden müssten (das wäre viel zu kurz gesprungen, haben aber viele im Gefolge Bultmanns getan – er aber nicht!). Vielmehr halte ich es für geboten, Sprechweisen und Metaphern zu finden, die für die Zeitgenoss/inn/en verständlich sind. Neue Bilder, die weniger aus einer agrarischen Zeit mit ihrer Bildwelt stammen. Daher auch der Hinweis auf Klaus Bergers Programm der Re-Mythologisierung.
Ich meine, dass es der Bilder bedarf. – Wenn wir jedoch das Bild für das Eigentliche halten, dann haben wir, wie ich meine, etwas missverstanden. Im Reich Gottes muss nicht alles nach Senf schmecken!
Gruß und Dank,
Frank Weber
Wieso hat Bultmann mit dem angeführten Zitat recht?
War Jesus nicht der Mensch der gewordene Sohn Gottes? Kann man heute nicht mehr an das Wirken des Heiligen Geistes glauben? Ist Satan nur eine Einbildung, aber keine Realität? War Gabriel kein Engel, sondern eine Illusion?
Wenn es so wäre, was bliebe dann noch vom christlichen Glauben übrig? Dann könnten wir wieder Holz und Stein anbeten! Besser Spr 3,5 und 8,8.