Sicher ist Diet­rich Bon­hoef­fers Nach­fol­ge ein Klas­si­ker der christ­li­chen Lite­ra­tur des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts. Das Buch hat sich gut ver­kauft und erfreut sich bis heu­te eini­ger Beachtung.

Ande­rer­seits hat sich vie­les an den Bedin­gun­gen, unter denen das Buch ent­stan­den ist, dras­tisch ver­än­dert. Anders gesagt: Bon­hoef­fers Nach­fol­ge ist kaum ver­ständ­lich, so mei­ne The­se, wenn wir den Text nicht auf dem Hin­ter­grund des Kir­chen­kamp­fes im 3. Reich den­ken. Das möch­te ich hier versuchen.

Wie nun war die Situa­ti­on, was hat sie geprägt? Die klas­sisch land­wirt­schaft­lich (und vor allem auch über gro­ße Güter und vie­le Land­ar­bei­ter) gepräg­te Situa­ti­on im 19. Jahr­hun­dert hat­te sich durch tech­ni­schen Fort­schritt zum 20. Jahr­hun­dert hin gewal­tig ver­än­dert. Maschi­nen­ein­satz, Fabri­ken, Eisen­bah­nen und somit gewal­tig gestie­ge­ne Mobi­li­tät, sie alle ver­än­der­ten die Gesell­schaft. Das Bür­ger­tum wur­de wich­ti­ger gegen­über dem Adel und der qua­si stän­di­schen Gesell­schaft. Zugleich kam es mit poli­ti­schen Par­tei­en, mit dem Par­la­men­ta­ris­mus zu neu­en Bedin­gun­gen der poli­ti­schen Wil­lens­bil­dung und der Ent­schei­dungs­pro­zes­se. Kon­ser­va­ti­ve sahen und erleb­ten gewal­ti­ge Ver­än­de­run­gen. Sie fürch­te­ten zu Anfang des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts, ins­be­son­de­re nach dem ers­ten Welt­krieg (Abdan­kung des Kai­sers) und der Revo­lu­ti­on in Russ­land, Sozia­lis­mus, Nihi­lis­mus und schlicht einen Weg in die Kata­stro­phe. Die tra­di­tio­nel­len Iden­ti­fi­ka­ti­ons­mo­del­le schwanden.

Vie­le fürch­te­ten, dass mit der Wei­ma­rer Repu­blik auch die lan­ge und enge Ver­bin­dung zwi­schen Thron und Altar in Deutsch­land mit der Mon­ar­chie zuen­de gehe. – Hier konn­te eine gewis­se Beru­hi­gung durch den Erhalt des klas­si­schen Kirch­s­ten­steu­er­mo­dells geschaf­fen wer­den. Da Kir­chen­glie­der und ‑Lei­tun­gen aber mit­be­ka­men, was in den Sowjet­re­pu­bli­ken pas­sier­te, Bol­sche­wis­mus, Athe­is­mus usw., fürch­te­te man, dass es in Deutsch­land auch zu erheb­li­chen Ein­brü­chen kom­men wer­de. – Nicht ganz unbe­rech­tigt: Die Anzahl der Kir­chen­aus­trit­te war in der Wei­ma­rer Repu­blik auf einem Höchst­stand, seit Aus­trit­te mög­lich gewor­den waren. Wohl auch, weil für vie­le Glau­be nach den Erfah­run­gen des 1. Welt­kriegs weni­ger nahe­lie­gend gewor­den war. Ein gro­ßer, auch kul­tu­rel­ler, Schock für die gesam­te Gesell­schaft. Gefühlt das Ende einer Epo­che – die Zukunft ungewiss.

Die Nati­on oder der Natio­nal­staat war ein neu­es Modell, das aber in Deutsch­land weni­ger weit ent­wi­ckelt war als etwa im Ver­ei­nig­ten König­reich oder in Frank­reich. In die­sem Rah­men der Defi­ni­ti­on der Nati­on ist die Abgren­zung nach innen und außen wich­tig. In sei­nem Buch »Das drit­te Reich« weist Ulrich Her­bert dar­auf hin, dass in Deutsch­land die Defi­ni­ti­on, wer deutsch ist, wich­tig war: Deutsch war, wer Kind deut­scher Eltern war­Nach­fol­ge, Bon­hoef­fer, . Das heißt: Nicht die, die z.B. als pol­nisch-stäm­mi­ge Arbei­ten­de in der Land­wirt­schaft auf ost­deut­schen Gütern wirk­ten, hät­ten deut­sche Kin­der haben kön­nen: Nein, die Kin­der blie­ben pol­nisch! Juden waren Ämter in Mili­tär und Beam­ten­ap­pa­rat ver­wehrt. Dar­über grenz­te man die­se (sehr klei­ne) Grup­pe nach innen ab. Her­bert schätzt, dass < 1 % der Bevöl­ke­rung zu die­ser Grup­pe zählte.

Die kirch­lich gebun­de­nen Men­schen emp­fan­den viel­fach die kirch­li­che Klein­staa­te­rei als nicht mehr ange­bracht. Vie­le wünsch­ten sich auch im evan­ge­li­schen Raum und über die Gren­zen zwi­schen luthe­risch, refor­miert und unier­ten Kir­chen hin­weg, eine Deut­sche Evan­ge­li­sche Kirche.

Die Hoff­nun­gen und Plä­ne, die kon­fes­sio­nel­le Land­schaft in Deutsch­land als grö­ße­res Gan­zes zu den­ken, statt als Klein­staa­te­rei, die sich in den viel­fäl­ti­gen Lan­des­kir­chen wider­spie­gel­te: Die­se führ­ten schließ­lich zur Grün­dung der DEK, der Deut­schen Evan­ge­li­schen Kir­che; und dies 1933, ein kir­chen­po­li­ti­scher Erfolg der NSDAP und ihrer Reli­gi­ons­po­li­tik. So begrüß­ten vie­le auch die Ein­rich­tung eines Reichs­bi­schofs-Amtes, um das (Führer-)Prinzip des Natio­nal­staats kirch­lich zu spiegeln.

Zum Ver­ständ­nis Bon­hoef­fers Nach­fol­ge ist der Kir­chen­kampf als Aus­gangs­si­tua­ti­on unum­gäng­lich. Das bedeu­te­te ins­be­son­de­re, dass ohne die Ari­sie­rung des Beam­ten­tums 1933, die selbst­ver­ständ­lich auch die Pas­to­ren betraf, ver­mut­lich man­ches anders gelau­fen wäre.

Die Reak­ti­on auf die staat­li­chen Ein­grif­fe in die Kir­che und ihre Kern­be­rei­che, eben Ver­kün­di­gung, Per­so­nal usw., war bei eini­gen als Fol­ge theo­lo­gi­scher Besin­nung auf die Kern­be­rei­che und … die Hin­wen­dung zu den Brü­dern und Schwes­tern – und beson­ders radi­kal zu Jesus – statt zum Staat. Ent­stan­den ist somit die Beken­nen­de Kir­che mit eige­nem Mit­glied­schafts­be­griff (auch Mit­glieds­aus­wei­sen, vgl. Wiki­pe­dia, dort einer unter­schrie­ben von Mar­tin Niem­öl­ler); ent­spre­chend einem eige­nen Mit­glieds­be­trag und letzt­lich einer struk­tu­rel­len Frei­kirch­lich­keit und Los­lö­sung vom Staat.

Hier­her gehört der Gedan­ke des Arka­nums, der bei Bon­hoef­fer wie­der­holt auf­tritt. In der Alten Kir­che war der Got­tes­dienst zwei­ge­teilt in einen Teil mit Ver­kün­di­gung und einen mit dem Abend­mahl. Zum zwei­ten Teil waren nur die getauf­ten Glie­der zuge­las­sen. – Und bis heu­te kommt daher, dass die Ele­men­te beim Abend­mahl mit einem Tuch (Velum) abge­deckt sind, bis der Abend­mahls­teil beginnt.

Es gibt qua­si die Welt, der man pre­digt. Und dann gibt es die Din­ge für den enge­ren Kreis der­je­ni­gen, die Chris­tus in sei­ne Nach­fol­ge beru­fen hat. – An die­se rich­tet sich die Berg­pre­digt, nicht an alle.

Die­se Ver­bin­dung nach innen, die mit einer Abgren­zung nach außen ein­her­geht, reflek­tiert Bon­hoef­fers »Nach­fol­ge«. Die Abgren­zung der Zuge­hö­rig­keit zur Kir­che geschieht nicht über die Eltern oder die Abstam­mung, son­dern dar­über, wen Jesus in sei­ne Nach­fol­ge beru­fen hat und wer die­sem Ruf folgt. Bekann­te Fra­ge­stel­lun­gen, etwa nach Gemein­de­zucht, nach dem Gehor­sam der Geru­fe­nen, nach Tau­fe, Pre­digt und Abend­mahl, stell­ten sich ange­sichts der Her­aus­for­de­run­gen der Zeit des 3. Rei­ches neu.

Schließ­lich war der Anspruch des Staa­tes ja, das gesam­te Leben aller zu erfas­sen. Die Ein­glie­de­rung der evan­ge­li­schen Jugend­wer­ke war Aus­druck die­ser Gleich­schal­tung. Man war eben zunächst Deut­scher, so das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Bild. Dann war jemand mög­li­cher­wei­se Christ, Gottgläubige/r oder Heide. –

Wenn die Chris­ten­men­schen in der Beken­nen­den Kir­che dies anders­her­um sor­tier­ten, dass jemand näm­lich zunächst Christ ist, geru­fen von Chris­tus, dann war dies letzt­lich ein Kon­flikt wie beim Inves­ti­tur­streit im 12. Jahr­hun­dert. Stets ging es dar­um, wie staat­li­che und kirch­li­che Macht bzw. Inter­es­sen aus­ge­gli­chen wer­den konn­ten; wer gibt wem die Regeln vor?

Nach dem Staats-Kir­chen-Ver­trag zwi­schen dem Vati­can und dem Deut­schen Reich auf betrei­ben der neu­en deut­schen Regie­rung 1933 war man dort, in der römisch-katho­li­schen Kir­che, eini­ger­ma­ßen regu­liert. – In der evan­ge­li­schen Chris­ten­heit (gera­de in den Lan­des­kir­chen) ent­wi­ckel­te sich durch den Kir­chen­kampf die Lage für den Staat wenig kon­trol­lier­bar; es gab Wider­stän­de, mit denen die Ver­wal­tung und Regie­rung nicht gerech­net hat­ten. Man kann auch sagen: Man hat­te die Wider­stands­kraft des Pro­tes­tan­tis­mus unterschätzt.

Die Ari­sie­rung des Beam­ten­tums betraf auch die Pas­to­ren als Kir­chen­be­am­ten. Die Evan­ge­li­sche Jugend wur­de in die Hit­ler­ju­gend bzw. den Bund deut­scher Mädel über­führt. – Bei eini­gen in der Kir­che erzeug­te das Wider­stand, der bereits 1933 zum Pfar­rer­not­bund führ­te und schließ­lich zur Beken­nen­den Kir­che mit frei­kirch­li­cher Struk­tur, eige­ner Glied­schaft, eige­nen Beträ­gen jen­seits der Kir­chen­steu­er usw.

Bon­hoef­fer wur­de Lei­ter des Pre­di­ger­se­mi­nars Fin­ken­wal­de der Beken­nen­den Kir­che, in dem in ent­spre­chen­den Kur­sen jeweils 25 Kan­di­da­ten aus­ge­bil­det wur­den. – Aus die­ser Situa­ti­on mit radi­ka­li­sie­rer Nach­fol­ge erwuchs das Buch »Nach­fol­ge«, in dem er die Radi­ka­li­tät der Nach­fol­ge mit teu­rer Gna­de her­aus­ar­bei­tet. Deut­lich wird, dass der Ruf in die Nach­fol­ge unbe­dingt ist, wich­ti­ger als alle ande­ren Mäch­te oder Gestal­ten. Wie bei den Jün­gern ist Nach­fol­ge unbe­dingt – oder sie ist kei­ne Nachfolge.

Bon­hoef­fers »Nach­fol­ge« glie­dert sich in zwei Tei­le: Der ers­te Teil selbst trägt nur eine römi­sche I als Titel und umfasst im Kern eine Aus­le­gung der Berg­pre­digt. Hier geht es um All­ge­mei­nes die Nach­fol­ge betref­fend. – Im zwei­ten Teil dage­gen geht es um die Kir­che Jesu Chris­ti; es wird deut­lich, dass die­se Kir­che nicht die Deut­schen Chris­ten zur Zeit Bon­hoef­fers mei­nen kann, ja, dass selbst die Beken­nen­de Kir­che weit hin­ter Jesu Ansprü­chen zurück bleibt, dass noch viel Luft nach oben ist. Hier stimmt zumin­dest die Aus­rich­tung: Klar auf Gott.