Klar ist: Gemeinde ist ein Modell der gelebten Nachfolge. Ebenso deutlich ist: Dieses Modell passt nicht für alle. Einige waren schon immer Einsiedler. Andere merken, dass sie sich verbiegen müssten, wenn sie sich mit anderen in Gemeinde arrangieren müssten. Also bleiben sie Christenmenschen, aber sie kommen nicht (mehr) in Gemeinde (vor). Entweder leben sie in einer virtuellen oder tatsächlichen Gemeinschaft mit anderen, wobei die Zugehörigkeit zu einer oder schon die Kategorie der Kirche oder Gemeinde für sie nicht passen.
Die meisten »klassischen« Christenmenschen können sich so ein Modell nicht einmal vorstellen. – Ich kenne nicht allein Menschen, die so leben, ich finde es zunehmend attraktiv. Zumal ich die Alternative sehe: Die meisten Kirchen und Gemeinden stehen vor gewaltigen Umbrüchen, die zu bewältigen enorme Energie kosten wird. Ob diese Energie dort gut eingesetzt ist, das ist mir zumindest fraglich. Institutioneller Rückbau ist äußerst schwierig, denn es gibt massive Beharrungskräfte. Ohne geht es nicht, mit ist ungewiss und mühsam.
Vor allem aber gilt, dass statt großer und schwerfälltiger Institutionen, wie es Kirchen ja gewöhnlich sind, agilere Organisationsformen heute eher passen. Eher ein Netzwerk von Christenmenschen, mit denen ich in Beziehung stehe und Glauben lebe. Für mich selbst lohnt die Energie in Gemeinde nur dann, wenn deren Einsatz voraussichtlich dazu führt, das Reich Gottes besser zu bauen als an anderer Stelle. Wenn ich also eine Predigt schreibe, und 24 Menschen hören sie in einem Gottesdienst, und 60 bis 100, teils 120 Besuchende kommen auf die Homepage hier täglich, dann erscheint mir ein Beitrag hier (der mich gewöhnlich deutlich weniger als acht Stunden Arbeit »kostet«) eher effektiv. – Ja, Audio und Video sind auch im Netz möglich. – Andererseits ist der »Impact Factor« bei live anders.
Fresh Expressions?
Bei dem, was klassisch unter »fresh expressions of church« läuft, stelle ich fest, dass es oft darum geht, Menschen zu dienen, und dies um Gottes Willen. Das ist nicht verkehrt, bei allen Grenzen und Einschränkungen. Oft entstehen Projekte und hängen an einzelnen, entsprechend gehen Projekte auch wieder ein, wenn die einzelnen Mitwirkenden und prägenden Mitarbeitenden weiterziehen. Das bedeutet viele und auch große Chancen. Weil aber die Schnittstellen selten definiert sind, fallen oft die in Löcher, die von einem Projekt angesprochen wurden, wenn das Projekt endet. Sie gehören ja nicht zu einer Kirche, zu einer Gemeinde, zu einem »Bekenntnis«, sondern waren mit anderen vernetzt, solange ein Projekt lief.
Fresh Expressions bedeutet, mit der Lücke zu leben. – Gott selbst wird sie füllen müssen, wird den einzelnen nachgehen müssen, ihnen eine Sehnsucht für eine andere Gemeinschaft schenken und die entsprechenden Angebote ihnen zeigen müssen, wenn das Projekt endet, in dem sie sich wohlfühlten.
Können aber Blogs, Podcasts, Youtube und andere löse Netzwerke an die Stelle von Gemeinde oder Kirche treten? Ist das nicht eine Kopfgeburt und bloß etwas für wohlgebildete, netzaffine Menschen? Darüber denke ich fortgesetzt nach.
Alle Gemeinden sortieren ihre Klientel, ihr Millieu, über den Stadtteil, in dem die Kirche liegt, über die Gottesdienstform, über den Predigtstil usw. Es gibt nichts, das für alle passte. Die Jesus Freaks und die Heilsarmee sprechen andere Menschen an als lutherische Hochkirchler oder Quäker. Eine gewisse Sortierung oder Ausgrenzung gibt es also stets. Da führt kaum ein Weg drum herum.
Zielgruppe?
Ist es andererseits denn nicht legitim, wenn sich ein Projekt, ein Ansatz, vielleicht auch einen Gemeinde oder Kirche über diejenigen definiert, die man erreichen möchte? Muss man sich da nicht festlegen, um überhaupt jemanden gezielt ansprechen zu können? Willow Creek richtete die Angebote stets an »unchurched Harry and Mary«. Alle, die Menschen erreichen möchten, die bisher nicht von Kirche erreicht sind, muss denken wie die. Muss deren Bedürfnisse und Erfordernisse sehen. Nur dann kann ein Gottesdienst für die funktionieren.
Wenn es also die Heilsarmee, die Jesus Freaks und all die anderen Kirchen gibt, ist dann nicht weiteres Angebot nützlich? Braucht es nicht andere Formen für das Netz? Neben den Gemeinden und Kirchen entstanden ja christliche Verlage. Später Radio- und Fernsehkanäle. Wenn viele keinen Fuß über eine Kirchenschwelle setzen, ist es gut, wenn anderswo, Christen zu finden sind. Etwa im Internet, in Blogs, bei Youtube usw. Wie alle anderen Angebote ist das nur für einige passend. Besser als nichts.
Im Januar werde ich entscheiden, was bei mir dran ist, wie die Kapazitäten möglicherweise umverteilt werden. Bis dahin ist ein gewisser Schwebezustand mühsam, gleichermaßen für Besuchende hier auf der Seite wie für mich. Derzeit geht es nicht anders.
Einige wichtige Artikel und auch zwei Podcastfolgen entstehen derzeit. In der Gemeinde denken einige drüber nach, wie es in die Zukunft gehen kann. Wenn sich da kein Weg findet, würde ich dort nicht mehr und hier deutlich mehr aktiv. So ist das quasi in der Zeit »zwischen den Jahren«: Am 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr, am 1. Januar das neue Kalenderjahr. – Da stehen dann gute Vorsätze und Entscheidungen an.
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