Aus ganz unterschiedlichen Gründen erwägen Menschen, eine Kirche zu verlassen. Der Fall, der mir am häufigsten begegnet, ist, dass ein Amtsträger sich unangemessen benommen hat. Sei es, dass sexueller Missbrauch durch kirchliche Mitarbeitende geschehen ist, sei es, dass jemand in der kirchlichen Verwaltung zum Schaden der Institution und der Menschen handelt, sei es, dass Bischöfe nicht so sind, wie sie sein sollten: Schon kommt es zu Austritten. Und ich finde das mehr als verständlich, ja, evtl. im Einzelfall unumgänglich. Bloß: Es hilft nicht. – Weder hilft es der Institution, noch hilft es dem einzelnen oder der einzelnen, denn die sind anschließend oft geistlich heimatlos.
Wichtiger finde ich – im Zusammenhang mit einer solchen »Exit-Strategie« eine Kultur des »statt-dessen«: Wie möchte und will ich meinen Glauben leben, wenn ich z.B. aus einer der großen Kirchen austrete? Suche ich mir eine andere? Werde ich z.B. altkatholisch, weil die röm.-kath. Amtskirche unerträglich gehandelt hat? Werde ich, wenn ich mit bestimmten Handlungen der evangelisch-lutherischen Landeskirche nicht einverstanden bin, zu Beispiel mich einer Freikirche anschließen?
Klar ist: Es gibt keine vollkommenen Kirchen. Und weiterhin dürfte klar sein: Wo Menschen sind, da menschelt es. Da gibt es beeindruckende Menschen, aber leider auch solche, die mich abschrecken und abstoßen. Manchmal gibt es die in hohen und höchsten Positionen. Das ist unglücklich, aber man kann es ändern. Zum Beispiel, indem man etwas unternimmt, diese Leute von den Posten weg zu bekommen.
Das setzt aber folgendes voraus: Wenn ich selbst bei der Kirche angestellt wäre, müsste ich mir gut überlegen, ob ich das bleibe, wenn es da grundsätzliche Hindernisse gibt, sei es personeller Art oder strukturell… – Im Zweifel ist es eine Frage, ob eine Basisarbeit (und um die geht es ja eigentlich) möglich bleibt, wenn der Fisch vom Kopf her stinkt. Das lässt sich unterschiedlich beantworten. Je nachdem. Kirche ist inzwischen ja ein Spektrum von Kirchen, die jeweils unterschiedlich und auch in ihren Strukturen sehr verschieden sind.
In den letzten beiden Wochen habe ich mit unterschiedlichen Menschen gesprochen, die sich sämtlich ausdrücklich als Christenmenschen verstehen und jeweils erwägen, aus der Kirche (und das sind verschiedene) auszutreten. – Mir scheint, dass das leider nur ein Teil einer Lösung des Problems sein kann, denn die meisten, die die angestammte Kirche verlassen, bleiben anschließend geistlich heimatlos.
Die große Tücke ist, dass für fast alle Christenmenschen geistliche Gemeinschaft mit anderen unverzichtbar ist. Die meisten sind keine Einsiedler. Geistliche Gemeinschaft aber kann man zwar auch ohne Kirche oder Gemeinde organisieren, aber das ist bedeutend schwieriger als mit. Oft unterbleibt es. Mit dem ersten Schritt allein ist eine Freiheit vor der bisherigen Kirche gewonnen, aber eben leider oft keine Freiheit zur Nachfolge in christlicher Freiheit. – Die aber wäre sehr wünschenswert.
Für die meisten Menschen stellt sich (so ist mein Eindruck) die Frage, wenn sie aus einer Kirche »bloß weg« möchten, wohin sie (positiv) möchten. Heute sind viele Kirchen und Gemeinden nicht mehr über ihr Glaubensbekenntnis definiert. Sie haben also keine besondere Lehre von der Taufe, vom Abendmahl, …, vielmehr verstehen sie sich als »christlich« und diese so genannten nach-konfessionellen Gemeinden sind über ihren Stil definiert. Über ihre Musik, über ihr soziales Engagement usw.
Der amerikanische Begriff des »Church Shopping«, also der Suche nach der für mich passenden Kirche oder Gemeinde, wird hierzulande mehr und wichtiger, bisher aber vor allem bei umziehenden freikirchlichen Menschen. – Mein Wunsch ist, dass auch die, die sich ernstlich mit dem Gedanken tragen, eine große Kirche zu verlassen, doch einmal prüfen mögen, wo sie andocken können mit ihrem Typ und ihrem Glauben.
Ich meine, dass es die unterschiedlichen Menschen mit je ihrem Glauben braucht. Gott ist ein Schöpfer der Vielfalt. Dass das alles in eine allgemeine (= katholische) Kirche passt, halte ich für unwahrscheinlich; dafür müsste die viel weiter angelegt sein. Es passt überhaupt in keine einzelne Kirche, sondern auch hier ist Vielfalt gut und belebt das Geschäft. Konkurrenz nutzt den Etablierten, denn sonst blieben sie bei Gottesdiensten in historischer Aufführungspraxis. – Das kann nicht die Lösung sein.
Wir haben inzwischen deutlich mehr Zuschauende per Youtube als Besuchende in den Gottesdiensten. Auf so ein Angebot, Menschen zu erreichen, sollte und kann man heute kaum verzichten. Und: Wir müssen dahin kommen, die Vielfalt der Ökumene als gute Gabe Gottes zu begreifen. Nicht alles ist meine Tasse Tee, aber das muss ja auch nicht so sein. Sprachs und holte sich noch einen Becher Kaffee…
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