Zu leben, das ist die Bedingung der Möglichkeit für menschliche Handlungen. Nicht (mehr) zu leben ist folglich die Optionslosigkeit. Neulich las ich wieder einmal in Bonhoeffers Briefen aus der Haft, die in Widerstand und Ergebnung verfügbar sind. Dort findet sich in einem Brief
»Mit dem Sterben fertig werden bedeutet noch nicht mit [dem] Tod fertig werden. Die Überwindung des Sterbens ist im Bereich menschlicher Möglichkeiten, die Überwindung des Todes heißt Auferstehung.« (DBW 8, 368)
Bonhoeffer schreibt am 27. März 1944 an Eberhard Bethge, dass Sokrates das Sterben überwunden habe, damit aber noch nicht den Tod. Ein reinigender Wind könne von der Auferstehung Christi durch die gegenwärtige Welt wehen. Und Bonhoeffer schreibt weiter: »Von der Auferstehung her leben – das heißt doch Ostern.« (ebd., S.369)
Österlich zu leben, das bedeutet hier und jetzt von der Freude an Gottes neuer Welt und der jetzt schon gelebten Beziehung mit ihm her. Bonhoeffer meinte das selbst in den widrigen Umständen seiner Zeit, eines Weltkriegs, der zusehends verloren war.
Es ist eine Hoffnung für ihn, dass ein paar Menschen von dieser österlichen Botschaft her lebten. »Wenn ein paar Menschen dies wirklich glaubten und sich in ihrem irdischen Handeln davon bewegen ließen, würde vieles anders werden.« (ebd., S.369)
Mir ist Bonhoeffers Brief mehr eine Problemskizze als die einer Lösung dieser Herausforderungen. Menschen sind furchtsam und selbstsüchtig. Wenn aber mehr von ihnen österlich, also von der Hoffnung her, lebten, wäre vieles an unnötigen Rücksichten usw. nicht mehr erforderlich. Mich selbst verdrießt, wie sehr es allenthalben menschelt. Gerade auch in Kirchen und ihren Leitungen. Vielleicht ist das einer der Gründe meiner zunehmend kirchenkritischen Haltung.
Wir heute haben im gesellschaftlichen Konsens keinen Raum mehr für die Überwindung des Todes, keinen Raum mehr für die Auferstehung. Politisch kann ich das gut verstehen, es ist dies nicht der gemeisame Nenner im Staat der Glaubensfreiheit (im Sinne von Glaubenlosigkeit). Es ist aber der Faktor, der einzelne immer wieder und zu unterschiedlichen Zeiten zu einem neuen und anderen Leben befreit hat. – Bonhoeffer ist gewiss einer von denen, die das Evangelium freigesetzt hat.
Ich meine, dass wir, wenn wir als Christenmenschen leben, mehr von der Sicht Gottes, vom großen Ganzen her denken sollten: Da ist unser Leben nur ein Ausschnitt aus dem, was er für uns (als einzelne und als Menschheit) vorgesehen hat. Bevor wir geboren (und gezeugt) wurden, ist unser Dasein sinnvoll und gewollt. Aber auch unser Tod und Sterben sind »gut« in einem absoluten Sinne. Sie haben ihre Zeit und ihren Ort. Zumal dann, wenn wir im Blick haben, dass damit eben nicht (wie die gewöhnliche menschliche Perspektive es deutet) das Ende unserer Handlungsoptionen erreicht ist, sondern wenn wir den Tod als den nächsten Schritt unseres Lebens mit Gott begreifen. Dann verliert er seinen Schrecken, der (sonst) nur allzu menschlich ist.
So sehr sympathisch mir gerade auch die Gelegenheitsschriften sind, so sehr nehme ich doch an, dass Bonhoeffer, wenn er eine Veröffentlichung dieser Gedanken beabsichtigt hätte, eines anders formuliert hätte. – Bei Bethge war das nicht erforderlich, der las es wie gemeint, weil er wusste, wie Bonhoeffer dachte. Statt »die Überwindung des Todes heißt Auferstehung« hätte er vermutlich geschrieben: »Die Überwindung des Todes heißt Auferweckung.« – Denn es ist ja ein Wechsel im Subjekt vorhanden: Das Sterben zu überwinden, das können möglicherweise Menschen lernen. Den Tod kann nur Gott überwinden, er ist es, der auferweckt.
Frohe Ostern. – Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja.
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