Worum geht es eigentlich bei der »Causa Latzel«?
In Bremen gibt es an der St. Martini-Gemeinde (ev.-ref.) einen Pastor, Olaf Latzel, der an einer der großen und alten Kirchen der Stadt gemeinsam mit dem Kirchenvorstand konservativ-fundamental lehrt und predigt. So fiel etwa 2015 auf, dass die Gemeinde es ablehnte, eine Frau predigen zu lassen, wohlgemerkt: Aus (theologischen) Gründen. Pastor Latzel versteht sich als »geistlich wiedergeboren« und er neigt einem konservativ-evangelikalen Umgang mit der biblischen Tradition um, die ich als bibelfundamentalistisch verstehe.
Jedenfalls fiel er mehrfach dadurch auf, dass er andere mit seinen Positionen, die auch via YouTube etc. weit über die Gemeinde hinaus wirken, verletzte oder vor den Kopf stieß. Er lehnt gleichgeschlechtliche Partnerschaften ab, findet es angebracht, dass christliche Nachfolge »Säuberungsaktionen« an anderen Kulten vollziehe.
Nachdem Pastor Latzel in einem Eheseminar (also einem Kurs zur Vorbereitung auf die Ehe für trauwillige Paare) sich massiv ablehnend bis verunglimpfend gegenüber Homosexualität geäußert hatte, dies später im Internet veröffentlicht wurde, wurde er schließlich (zur Zeit, da ich dies schreibe ist das Urteil noch nicht rechtskräftig) im November 2020 wegen Volksverhetzung verurteilt.
Daraufhin suspendierte ihn der Kirchenausschuss der Bremischen-Evangelischen Kirche. Sein Kirchenvorstand veröffentlichte daraufhin (auf Latzels YouTube-Kanal) eine Stellungnahme für ihren Pastor.
Eigentlich geht es um mehr…
Dies ist nur ein Fall, ein Aufhänger. Es geht darum, dass an sich ja vieles an Erweckung und Nachfolge mir äußerst sympathisch sind. Ich verstehe mich als Methodist und auch als Christ, der in der Nachfolge lebt. – Und ich meine, dass die Unterschiede im Leben und im Glauben nicht bloß etwas mit einem unterschiedlichen »persönlichkeitsspezifischen Credo« zu tun haben.
Das hatte ich um Weihnachten herum erwogen länger zu entfalten hier in diesem Blog. Dann aber merkte ich, wie viel dafür erforderlich ist, das einigermaßen menschen- und sachgerecht zu machen. Dabei eben nicht polemisch, sondern besonnen und vor allem klar. Mir wurde klar: Das ist ein Riesenprojekt, weil es um eine Auseinandersetzung mit Wahrheitskonzeptionen, mit unserem Denken über Wirklichkeit gehen muss. Weil es darum geht, wie wir mit der Bibel umgehen, wie wir mit Christus und dem Geist Gottes umgehen und wie wie mit anderen umgehen, gerade mit Andersgläubigen und Atheisten.
Da kam der Augenblick, in dem ich Jens Spangenberg 12-Folgen Podcast »Bibelfundamentalismus« entdeckte. –
Jens Spangenbergs »Bibelfundamentalismus«-Podcast
Jens Spangenberg ist Pastor in Bremen in einer täuferischen Freikirche, er sitzt derzeit der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) in Bremen vor und schreibt anregende Artikel und Bücher. Außerdem hat er einige Podcasts auf seiner Internet-Seite, die nicht einfach sind, dafür gründlich. Die zwölf Folgen kommen auf rund zehn Stunden Audio.
Der »Bibelfundamentalismus-Podcast« erschien von August bis Oktober 2020 und setzt sich mit den Grundlagen der Causa Latzel auseinander. Genau das, was ich vorhatte. – Nun hat er das so gut getan, dass ich es nicht mehr tun muss. Wie gut, das setzt Zeit für andere Projekte frei, etwa auch in der Gemeinde.
Wir sind – etwa beim Konzept der Postmoderne bzw. insbesondere meinem kulturalistischen Herangehen – nicht ganz übereinstimmend, aber das schadet nicht. Es geht um eine Auseinandersetzung mit einem Konzept, das von manchen als »der Evangelikalismus« verstanden wird, und eher einen Fundamentalismus meint, der meines Erachtens in geistliche und ethische Sackgassen führt. Das macht Spangenberg sehr deutlich.
Ich empfehle nachdrücklich, mit der 1. Folge einzusteigen ins Hören. Sonst versteht man/frau nicht, was sein Ansatz und seine Position ist. Konkret um Pastor Latzel geht es in Folge 3. In Folge 5 wird es politisch und psychologisch zugleich. Die Folgen 7 und 8 machen Einwände gegen die sich mehr und mehr ausbreitenden Fundamentalismen, die ich gerade auch für jene bedenkenswert halte, die diesen Denkmodellen zuneigen. Denn Jens Spangenberg geht dabei klug und liebevoll vor. Er stellt die richtigen Fragen. In den Folgen 9 und 10 geht es um Konfliktgespräche und Möglichkeiten, die Frustrationen zu vermeiden, die oft mit entsprechenden Gesprächen verbunden sind.
Mein Zugang…
Solche Gespräche habe ich selbst leider oft. Sie sind zum Weglaufen. Fast unerträglich, und doch bleiben sie erforderlich. Wir brauchen nämlich auch die, die völlig andere Grundannahmen als gesichert ansehen, als wir das selbst tun. Das zeigt mir das eine oder andere Gespräch im letzten Jahr mit Querdenkenden und anderen Anhängenden vereinfachender Weltbilder, so genannter Verschwörungsmythen.
Auch bei mir in der Gemeinde glauben und denken die Menschen verschieden. Der Umgang mit biblischen Texten ist bei unterschiedlichen Christenmenschen verschieden. – Mein eigenes Vorgehen möchte ich explizit und angebbar machen und Gott und den Menschen gegenüber verantworten. Aber: Es ist nicht für alle passend, weil wir menschlich einfach verschieden sind.
Gewaltfrei (auch in der Kommunikation) zu bleiben, das ist keineswegs selbstverständlich. Die Nische wird schmaler, dessen bin und bleibe ich mir bewusst. Das gilt auch für diese Website.
Danke für diesen Beitrag! Ich erlebe zur Zeit in meinem Freundeskreis eine andere Spielart des Fundamentalismus: den der Corona-Skepsis. Weil mir die betreffende Person wichtig ist, habe ich unter großer Anstrengung die Regeln der gewaltfreien Kommunikation wie Jens Spangenberg sie in seinem Podcast entfaltet angewandt. Ich kann nur sagen: es lohnt sich! Allen, die mit Fundamentalismen zu kämpfen haben, und die Menschen, die ihnen verfallen sind nicht verlieren möchten, kann ich nur empfehlen, Folge 9 und 10 des Podcast zu hören! Es geht um Respekt und echte Augenhöhe. Eine Übung in Nächstenliebe und gemeinsamer Wahrheitssuche.