Das Neue am Neuen Testament
was ist eigentlich das Neue am Neuen Testament? – Das ist eine merkwürdige Frage? Sicher! Dennoch mache ich einmal den Versuch, die Frage zu beantworten.
Das Alte am Alten Testament ist: Die Bundesschlüsse mit Noah, Abram und Mose richteten sich entweder an einzelne Stammväter oder an das Volk Israel. Das Bundeszeichen war allen bekannt: Der Regenbogen als Zeichen, dass nach der Sintflut Gott nicht wieder die Menschen ausrotten wird. Die Beschneidung als Zeichen des Bundes mit Abraham, dass er ein großes Volk von Nachkommen haben wird. Und die Gesetze als Zeichen des Bundes am Sinai, den Gott mit seinem Volk schloss: Dies sollten sie für alle Zeiten halten, damit es ihnen wohl ergehe.
- Gedacht wird also in Großfamilien oder gar für das Volk als Ganzes. Alle gehören dazu, und zwar durch ihre Geburt. So wie die meisten hier durch ihre Geburt Deutsche sind, so war man Teil des Gottesvolkes Israel.
Die Achtung und Ehrfurcht, die man Gott entgegenbrachte, machte sich besonders darin deutlich, dass jemand (und wie gewissenhaft einer) die Gebote erfüllte. Die Pharisäer waren darin vorbildlich.
Das Neue im Neuen Testament ist nun: - es geht nicht mehr ums Volk oder um einzelne Großfamilien, sondern einzelne kommen zum Glauben, dass Jesus der Messias, der Christus ist.
- Der Bund Gottes geht schnell über das Volk Israel hinaus, zu den so genannten Heidenvölkern. Damit ist klar: Es handelt sich um fundamental Neues, denn Gebote werden anders verstanden und gelten als nicht maßgeblich.
- Zu Konflikten kommt es mit den Priestern, Schriftgelehrten und Pharisäern, also zu den religiösen Instanzen der Zeit. Denn Jesus versteht in der Erfüllung des Gesetzes teils etwas ganz anderes als die Autoritäten. Wenn er etwa am Sabbat heilt.
- Dabei geht es nicht darum, das Gesetz aufzulösen, sondern statt den Buchstaben zu betonen, Gott als Geber des Gesetzes ernst zu nehmen. Das tut Jesus, und damit – mit diesem oft neuen Verständnis – eckt er an bei denen, die meinen sie wüssten, wie das alles zu verstehen sei.
- Das grundlegend Neue ist aber: Unter dem alten Bund lag es am Menschen, die Gebote Gottes zu erfüllen. So weit, so klar. – Neu ist nun: Das Angebot, dies nicht mehr versuchen zu müssen. Wer an Christus glaubt, glaubt damit, dass Gott alles Wesentliche getan hat in seinem Sohn.
- Im Neuen Testament geht es um Glauben als Beziehung zu Gott, die Gott selbst im Menschen Jesus ermöglicht hat. Beziehung ist persönlich und lebendig; das unterscheidet es vom Gesetz.
Umparken im Kopf…
Im Spätsommer 2013 tauchten an Plakatwänden, Litfaßsäulen usw. Plakate auf, die einen einfachen Spruch, einem »Claim« zeigten und dazu ein sehr einfaches Bild. Siehe etwa hier: Die Sprüche hatten sämtlich etwas Naheliegendes, aber leider auch Unzutreffendes. Alle verbinden Hamburg mit Regenwetter, dabei regnet es in Köln viel mehr. Die meisten mögen keine Oliven, haben sie aber noch nie probiert usw. Unter den Plakaten stand bloß eine Internet-Adresse: umparken-im-kopf.de. Da aber waren anfangs nicht viel mehr Informationen zu finden, worum es eigentlich ging. Zum Schluss erschienen dann Plakate mit »Ist Opel eigentlich noch so, wie Sie meinen? – Sehen Sie doch einmal nach.«
Die altehrwürdige Marke Opel war in die Jahre gekommen, das Image des Opa-Autos, veraltete Technik, unmodernes Design. Das wollte niemand. Tatsächlich gelang es der Berliner Werbeagentur Scholz & Friends von 2013/14 den Imagewandel der Marke Opel anzustoßen, neben neuen Modellen. Dabei wird deutlich:
Nichts ist so schädlich für Beziehungen wie das vermeintliche Wissen darum, was der andere mag, möchte oder denkt. Da ist die Mitte Zwanzigjährige, die von ihrer Großmutter Pferdeposter und Spielzeugpferde geschenkt bekommt, weil sie sich doch so für Pferde interessiert und darein so vernarrt ist. Der Mann, der nicht mitbekommen hat, dass seine Mutter nur deshalb gern in die Oper ging, weil sie erlebte, wie das dem längst verstorbenen Mann, dem Vater des Opernkarten-Schenkers, ein Vergnügen war. – Sie aber macht sich nichts aus dem Musiktheater.
Die Neugier aufeinander ist es, was gute Beziehungen ausmacht – und denkt einmal an jung Verliebte: Die können kaum voneinander lassen, weil sie neugierig sind, weil sie die oder den anderen kennen lernen und alles von ihm oder ihr wissen möchten.
Im Glauben gibt es auch eine positive Neugier und Gespanntheit auf Gott. Ihn kennen zu lernen. Immer mehr von Dir, oh Herr. – Und es gibt den anderen Glauben, den zwischen Buchdeckeln einer Dogmatik, den Glauben an die gelernten Glaubenssätze. Neugier spielt dort eben keine Rolle. Wer so glaubt, meint zu wissen, was Gott will.
Das kann ganz falsch sein. Völlig an Gott vorbei laufen. Liebe Gemeinde, erlaubt, dass ich jetzt einmal einen wichtigen Begriff im Evangelium ansehen möchte mit Euch und Ihnen, und dass es dabei auch etwas »philologisch« wird. Ich glaube, dass das uns hilft, etwas besser zu verstehen, wo wir vielleicht auch denken, dass wir wüssten, was Gott möchte. – Leicht aber können wir einem Missverständnis aufsitzen.
meta-noeo – umdenken, Umparken im Kopf…
Zu Beginn seiner Wirksamkeit lässt sich Jesus von Johannes, dem Täufer, im Jordan taufen. In Markus 1 hören wir: Jesus war getauft, die Stimme Gottes hatte vom Himmel gesagt: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden. Dann treibt der Geist Jesus in die Wüste, wo er 40 Tage lang ist und versucht wird. Johannes wird gefangen genommen, und Jesus predigt in Galiläa das Evangelium vom Reich Gottes.
Markus 1,15: »Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist nahe gekommen. Denkt um und glaubt an das Evangelium« – und dann werden die ersten Jünger am See berufen.
Um diesen Begriff, um dieses Wort »denkt um« bzw. meta-noeo geht es heute. Oft wird das übersetzt mit »kehrt um« und teils auch mit »tut Buße«. Das ist alles nicht ganz falsch.
Das Wort »meta-noeo« besteht aus zwei Teilen, zusammengesetzt wie unser »um-denken«. Noeo, das bedeutet »wahrnehmen, bemerken, denken, bedenken, erwägen, erkennen, ersinnen, sich vornehmen, gedenken. Es geht also um etwas im Kopf, in unserem Denken, um eine Erkenntnis, ein Denken.
Meta kennen wir aus der Metaphysik (da geht es um etwas, das über die Physik hinausgeht bzw. dahinter kommt) oder der Meta-Studie (da werden also 20 Studien verglichen) heißt: »dahinter, hinterher, nach hin, hinter her« – Wer ins Wörterbuch schaut, der findet je nach dem grammatikalischen Fall, mit dem das meta steht, noch viel mehr.
Kurz: Wer griechisch sprach und dachte, der hatte bei Jesu Worten als Judenchrist damals im ersten Jahrhundert zweierlei im Hinterkopf:
1. die oben genannte Bedeutung »denkt um«, »ändert euren Sinn«.
2. die alttestamentliche Bedeutung, denn der Begriff begegnet uns etwa in der griechischen Fassung des Alten Testaments, der so genannten Septuaginta (LXX), die Paulus zitierte und man damals meist benutzte. Dort bedeutete das »ändert euren Sinn« als religiöse Spezialbedeutung »tut Buße«, gebt ein Bußopfer (etwa in 3.Mose 5,5 und an über sechzig weiteren Vorkommnissen in AT.
Nun aber geschieht etwas in der Kirchengeschichte, das die meisten nicht auf dem Plan haben, das aber bis heute unser Verständnis prägt: Der Kirchenvater Hieronymus übernimmt es ab 386 aus den alten lateinischen Teil-Bibelübersetzungen (genannt Venus Latina) eine einheitliche Fassung zu erarbeiten. So etwas wird dringend gebraucht. Er, der ausgezeichnet Griechisch und relativ gut Hebräisch konnte, schafft die lateinische Standardbibel, die so genannte Vulgata, die in der röm.-kath. Kirche bis heute maßgeblich ist. Und weil er sich im Alten Testament ja mit dem Begriff meta-noeo (der in der Septuaginta auftritt für die Bußopfer) bereits hatte befassen müssen, gibt er auch im Neuen Testament dieses Umdenken, dieses »ändert euren Sinn« mit einer alttestamentlich passenden (und leider auch anmutenden) lateinischen Fassung wieder: »paenitentiam ago« – »tut Buße«.
Das ist nicht falsch, bloß geht der eigentliche Gehalt leicht verloren. Wenn im AT jemand Buße tut, dann ist das (oft) eine ritualisierte Handlung, ein Bußopfer wird gegeben und damit ist die Schuld ausgeglichen.
Das Umparken im Kopf, diese Änderung des Sinnes, das bleibt auf der Strecke. – Das darf und sollte sie aber nicht!
Religionen, die sich entwickelt haben, neigen dazu, genau zu wissen, wie Gott funktioniert. Es entwickeln sich Ämter und Lehre, etwa die Erbsündenlehre bei Augustin und die Sünden- und Erlösungstheologie bei Luther, dessen Nachfolger, die sogenannte lutherische Orthodoxie, wussten genau, wie Zerknirschung und Buße schließlich zur Bekehrung und Heiligung führen. Allein: Das Risiko ist groß, dass wir – wie die Pharisäer – meinen, wir hätten es ergriffen. Dabei geht es darum, die Beziehung zu Gott zu pflegen, wie Paulus sagt: »Ich habe es nicht ergriffen, ich jage ihm aber nach.«
Die Konsequenzen für uns
Liebe Gemeinde,
wir machen vieles und machen das liebevoll und gut. Das möchte ich nicht gering schätzen. Wir beten, wir feiern Gottesdienste. Wir musizieren und singen (oder summen) zur Ehre Gottes. Das tut nicht weh, und es kann sogar Spaß machen. Es ist gut.
Wir bleiben insofern aber hinter dem Evangelium zurück, als es nicht für uns als Wohlfühl-Faktor gedacht ist. Es soll zu den Menschen. Den Notleidenden soll geholfen werden. Die Hoffnungslosen sollen getröstet werden. Das tut Gott, klar. Aber: Dafür möchte er uns gebrauchen, auch uns als Gemeinde, als Johanneskirche. Dich und mich und uns alle, da, wo wir sind, sollen wir Gottes Zeugen sein.
Wenn wir Gottesdienste feiern, wenn wir darüber nachdenken, wir unter Corona-Bedingungen Gemeinde gehen kann, ist das alles gut und richtig. Aber: Gemeinde ist stets auch Gemeinde für die anderen. Für die Menschen, die vom Evangelium bisher nichts wissen. – Manchmal erscheint es mir, als igelten wir uns ein. Als wären wir ganz froh, wenn wir keine neuen Leute sehen, keine möglichen Virenträger, die eine Nachverfolgung erschweren, weil wir sie nicht kennen.
Die frühen Christen waren anders – und, zugegeben, die Zeiten waren es auch. Sie wurden durch Gottes Geist freigesetzt, als Juden zu den Nicht-Juden zu gehen – unerhört und für die meisten undenkbar. Die Grenzen zwischen Freien und Sklaven wurden nicht aufgehoben, aber doch in den Gemeinden überwunden. Männer und Frauen wurden tätig fürs Evangelium: Nicht selbstverständlich in der Antike, und schon gar nicht für diesen Kulturkreis.
Umparken im Kopf… Neu denken, umdenken. Lassen wir uns von Gott überraschen? Fragen wir danach? Sind wir neugierig? – Oder lassen wir uns lieber von unseren (Vor-)Urteilen prägen, stecken die Menschen in die vorgefertigten Kategorien von Christ und Sünder?
Ist das Neue am Evangelium nicht, dass es keine solche Unterscheidung braucht, weil Christenmenschen, ja, wir, sämtlich Sünder/innen sind? Wir sind nicht besser, allenfalls besser dran! – Und das ist ein Grund, dass wir uns auch in Corona-Zeiten von Gott gebrauchen lassen:
Es geht beim Christ-Sein um zweierlei: Um eine Beziehung zu Gott, die jemand entdeckt und entwickelt dank Gottes Geist. Das nennen wir Bekehrung oder »Christ-Werden«. Das ist ein fundamentales Umdenken und auch eine Umkehr. Das muss nicht immer ein Punkt sein, bei vielen aus frommen Familien ist das auch ein Prozess, bei dem sich einzelne Stufen beschreiben lassen, aber es nie eigentlich eine Bekehrung im engeren Sinne gibt. So weit, so gut.
Der zweite Punkt – und das ist gutes methodistisches Erbe – ist unsere Heiligung. Ich sage lieber unsere gelebte Nachfolge. Wir sind dazu da, mit Gott zu wirken. Auch dies ist immer wieder ein Umdenken. Wie leicht machen wir es uns: Das haben wir schon immer so gemacht… – Und wenn man dieses Umdenken zu einer bloß äußerlichen Angelegenheit macht, dann wird daraus schneller der Ablass – gestern war Reformationstag: Ablass ist Buße ohne Umdenken.
In der Gemeinde, in der Schule, in der Familie und in die Welt hinein. Gott braucht uns an allen diesen Orten. Und er möchte, dass unser Glaube wächst. Das aber geht nur, wenn uns dieser Glaube kostbar ist, wenn wir ihn pflegen und entwickeln (lassen) wollen. Nicht als etwas, das wir hätten, nicht als »Besitz«, sondern als Beziehung zu Gott in seinem Sohn und durch Gottes Geist.
Nachfolge geschieht, aber nicht ohne uns. Und: Es ist sehr wenig, wenn wir uns eine Predigt ansehen oder anhören. – Wir brauchen Gebet, wir brauchen andere, die uns begleiten. Wir brauchen es, mehr und mehr in die Bibel als Gottes gute Nachricht an uns einzutauchen. Das fällt manchen am Anfang schwer. Ein dickes und altes Buch. Aber: Sind wir noch neugierig? Wollen wir Gott mehr und mehr kennenlernen? So wie jung verliebte, die alles vom anderen wissen möchten?
Haben wir etwas gegen die Sünder da draußen, die manche Frommen vielleicht verdammen, weil sie nicht begreifen, wie sehr Gott die Menschen liebt? – Wenn jemand merkt, dass wir es mit ihm oder ihr gut meinen, dann ist das die Basis für vieles.
Sind wir bereit, umzupacken im Kopf? Oder halten wir unsere Vorurteile über Fromme (uns) und Sünder (die anderen) für heilig?
Gott möge Euch und Ihnen und besonders mir helfen, umzudenken, wo wir auf falschen, nämlich unseren eigenen, Wegen sind, so dass wir Umparken im Kopf.
Amen.
Neueste Kommentare