In den vielen Kirchen und Gemeinden wird erheblicher Aufwand darauf verwendet, meist wöchentliche Gottesdienste anzubieten. Hier kommen Pastorin und Küster, Kirchenmusikerin und viele Ehrenamtliche zusammen. Mutmaßlich zur höheren Ehre Gottes (ad maiorem dei gloriam).
Die Gottesdienste erfordern Vorbereitungen durch alle Beteiligten. Früher war es auch üblich, dass die »Gemeinde« den »Sonntagsstaat« anlegte. Das gebügelte Hemd, den guten Anzug, das neue Kleid. – Für Kinder teils ein Graus.
Dass diese Formen nicht für alle passen, das dürfte klar sein. Andererseits: Was sollen wir denn sonst machen? Alle sonstigen, weniger traditionellen, Formen passen auch nur für einige wenige. Ja, ein Jugendgottesdienst, eine Thomas-Messe, die Nachteulen-Gottesdienste… Es gibt viel. Aber nichts, das alle anspräche.
Sicher kann man bei Gottesdiensten auch vieles besser machen. Mit etwas Nachdenken finden sich – zumindest geht es anderen, mit denen ich drüber sprach, und auch mir so – zahlreiche Details, die anders besser wären, flüssiger, schlüssiger. Weniger verstörend.
Sicher ist: Es bedarf als Nachfolgerin oder Nachfolger Christi heiliger Zeiten und Orte für die Begegnung mit Gott. Es bedarf der Ruhe, des Schweigens, des Hörens und Betens. Auch ein geistlicher Impuls kann uns weiter bringen. Lieder sind vielfach gesungene Gebete. – Gut so.
Wenn wir also dran bleiben möchten an Gott, dann brauchen wir die Zeiten und die Orte. Allein: Ob es unsere Gottesdienste sein können? – Die Abstimmung mit den Füßen zeigt, dass es mehrheitlich nicht so ist.
Die gesellschaftlichen Konventionen zwingen und drängen uns nicht, in die Kirchen zu gehen, weil unser Fehlen sonst negativ auffiele. Dafür sind prozentual zu wenige da. In aller Freiheit (»Kirche der Freiheit«?) können wir entscheiden, was unserem Glauben gut tut und nutzt. Die Freiheit reicht so weit zu sagen, was nicht nutzt. Wenn das der Fall ist, dann bleiben wir weg.
Einige schieben es auf die stets verbesserbaren Gottesdienste. Ja, das kann immer besser und anders gemacht werden. Das ist so allgemein wie wahr. Andere räumen ein, dass es an sich gar nicht an dem Was liegt, sondern an anderen Einflussgrößen. An den kleinen Kinder, für die da nichts ist, die Ruhe zu Hause, die nur sonntags vormittags zu haben ist, ja, wenn das abends wäre… Was auch immer. Die Menschen haben viele und gute Gründe, wenn sie nicht kommen. Einige kennen ihre Gründe und können die angeben, andere haben zwar subjektiv entschieden, können das aber nicht begründen. – Dennoch eine gültige Entscheidung.
Ein Kennzeichen unserer Zeit als Moderne (und denkerisch sicher auch der Postmoderne) ist die zunehmende Individualisierung. Wir leben eben nicht mehr in Großfamilien mit drei oder vier Generationen und Bediensteten bzw. Sklaven im Haushalt wie die Christenmenschen im Neuen Testament. In Großstädten ist ein Drittel aller Wohnungen von Singles bewohnt. Die können und müssen jede Entscheidung selbst treffen. – Niemand nötigt sie. Sie wählen, was sie brauchen, was ihnen gut tut. Das gilt beim Essen wie bei kulturellen Angeboten, beim Sport und der Musik und eben auch bei Gottesdiensten. Wir merken es bei der Werbung. Nebenbei: Kaum etwas ist frustrierender für mich als Werbung für Gottesdienste. So geht es eher nicht.
Wer alle ansprechen möchte, erreicht niemanden.
Anders gesagt: Es wird leider kaum etwas geben können, das für alle passt. Unser Bemühen darum aber führt zu etwas, das für niemanden passt. Für die an klassischer Gottesdienst-Kultur interessierten, die das zu schätzen wissen und lieben, ist vieles an unseren Mischformen einfach liturgisch verunreinigt. Und für die anderen ist es viel zu wenig weit auf dem Weg zu ihren kulturellen Formen. So passt dieses Angebot für niemanden oder doch nur für wenige. Wenn wir uns nun vorstellen, dass es mehrere unterschiedliche Gottesdienstformen und ‑stile geben soll, so werden die, die das Angebot gestalten, oft kreidebleich: Wir schaffen es so ja kaum…
Noch eine weitere Herausforderung: Wer möchte denn in einer fast leeren Kirche Gottesdienste feiern? Das ist eher abstoßend als attraktiv. Wenn aber bei einem Angebot, dass sich auf die von etwa 30 – 35 Jahren richtet, andere bewusst wegbleiben, dann leiden alle. Das neue Angebot spricht zu wenige an. Das klassische Angebot zielt nun ja bewusst nicht mehr auf die etwa 30 – 35-jährigen Gemeindeglieder, die also mehrheitlich wegbleiben werden.
Neue Formen, Zeiten und Orte…
Anders gesagt: Wir brauchen Formen, Zeiten und Orte, die weniger aufwendig sind. Die mit einer kleineren Gruppe von Menschen gut funktionieren. Wohnzimmer-Gottesdienste, Hauskreise, was auch immer. Dass da keine Band und keine Orgel spielt, ist klar. Wenn es Musik gibt, dann reicht auch eine Gitarre, ein Klavier oder was verfügbar ist. Individualisierung werden wir nicht aufhalten können. Aber wir können uns fragen, was wir brauchen. Wir, das meint etwa auch mich selbst. Kompromisse mit anderen bleiben weiter nötig: Das ist auch bei kleinen Gruppen, Hauskreisen etc. so (und in jeder Familie sowieso).
Das Miteinander wird sich also vermutlich binnen-differenzieren müssen, wenn es in Gemeinden funktionieren soll. Dabei sind nicht allein Alter, Geschlecht etc. mögliche Kriterien, sondern im umfassenden Sinne, dass es passt. Wer mit kleinen Kindern vormittags am besten Zeit hat, kann da ein Angebot mit anderen als »frommes Frühstück« angehen. – Diese Vielfalt führt auf jeden Fall zu einer grundsätzlichen Veränderung: Diese neuen Formen und Orte führen zu deutlich gesteigerter Verantwortung der »Laien«. Das alles kann kein/e Pastor/in leisten oder anbieten. Nicht einmal kann es direkt von der Gemeinde koordiniert werden.
Und es setzt, wenn dies denn die Zukunft sein soll oder ein Teil der Zukunft, voraus, dass Christenmenschen sprachfähig in Glaubensdingen werden. Dass sie nicht bloß zuhören, wenn der Pastor etwas sagt. Nicht darin verharren, eine Anzahl Glaubenssätze für zutreffend zu halten. Vielmehr werden wir gefragt, in unserem Alltag. Gerade auch im Miteinander mit anderen. Denn die Rollen werden nicht mehr auf Impulsgeber einerseits (immer der- oder dieselbe) und Impulsempfängerin (immer die- oder derselbe) reduziert werden können. Wenn es gut geht, dann bedeutet Miteinander einen Austausch, in dem die jeweiligen Erfahrungen, Kenntnisse und Persönlichkeiten getrieben von Gottes Geist die Gruppe voranbringen. Jede solche Gruppe wird sich entsprechend denen, die da zusammen kommen, ordnen und zurechtfinden müssen. Die Wer-macht’s‑Frage stellt sich immer wieder. Der Vorteil aber ist, dass jemand, der etwas vielleicht erstmals vorbereitet, dies oft anregend unkonventionell macht. – Ich empfinde das als eine Art Brecht’schen V‑Effekts, weil es mich aus den klassischen Bahnen meines Denkens und Glaubens heraus holt. Wenn das anderen auch so geht: Um so besser.
Gottesdienst 2.0 meint Vielfalt und Dezentralität
Der Vorzug des oben beschriebenen Modells ist, dass es für den Gottesdienst, den einen und hoch gehängten, durchaus die Ansprüche senken kann. Weiter darf der gut gemacht werden. Aber er ist eben nicht mehr das einzige Angebot, das es für alle in Glaubensdingen ausrichten muss. Wenn es da also ein zentrales Angebot in der Kirche gibt, bei dem sich unterschiedliche Gruppen und Kreise einbringen, dann erfordert das z.B. weniger Aufwand seitens der Pastorin oder des Pastors für eine Predigt. Warum sollte da nicht ein Ehrenamtlicher oder eine Ehrenamtliche einen Impuls liefern, der dann ja auch kein zwanzigminütiger Monolog sein muss.
Das bedeutet aber nicht (jedenfalls nicht für alle Gemeinden), dass alles in quäkerischer Freiheit im Augenblick vom Geist gewirkt geschehen muss. Man kann so einen (Mitbring-)Gottesdienst mit vielen, die je etwas beitragen, planen und absprechen. Das ist weniger Mühe und vielfältiger, als alles selbst zu machen.
Wenn so ein Gottesdienst weniger hoch hängt, dann muss er für mich auch weniger gut passen. Es ist dann eine Chance, bei der mir Gott etwas zeigen, etwas sagen kann. Ob da nun das Flötensolo mein Musikstil ist oder nicht, das nehme ich hin. – Ich feiere dann ja mit den vielen anderen.
Fall die Zeit nicht passt, kann ich wegbleiben ohne schlechtes Gewissen. Denn es gibt ja andere Orte, an denen ich weiter komme. Das Vokalensemble, in dem ich geistliche Musik singe und wo es eine kurze Andacht vor jeder Probe gibt. Den Hauskreis, den Gebetspartner, mit dem ich regelmäßig telefoniere usw.
Wenn wir Gott meinen, und unsere Bedürfnisse und Wünsche aussprechen – und dann nach passenden Lösungen und Konzepten suchen, sind wir auf einem guten Weg.
Neueste Kommentare