Die Predigt ist bei YouTube und anderswo leicht verfügbar. Jonathan Edwards ist einer der Theologen und Prediger, die mit der Großen Erweckung im 18. Jahrhundert in den späteren USA in Verbindung gebracht werden.
Neben vielen – auch ganz anderen – Schriften und Themen, an denen er arbeitete, etwa der empirischen Religionssoziologie in der Beschreibung erwecklicher Phänomene, dem Dialog mit der damals modernen Physik Newtons usw. befasste sich Edwards auch mit Staatstheorie (Bildung und Sozialwesen sollten politisch, ja als Staatsziele verfolgt werden) und – ja – er war ein frommer Mann, der den Gedanken der Bekehrung, der persönlichen Hinwendung zu Jesus, für wichtig hielt.
So hielt er diese Predigt, die ausgehend von Gottes Macht die Nichtigkeit allen menschlichen Bemühens darstellt. Aus eigenem Vermögen können Menschen nicht gerecht werden. So weit, so klar.
Aus heutiger Sicht überzeugt mich die Predigt weder von ihrem Anliegen, nämlich zur Bekehrung aufzurufen, noch methodisch. Aus der Beschreibung der Macht Gottes, Menschen in die Hölle zu werfen, folgt ja nicht, dass Gott dies nicht auch mit den Guten und Frommen tun kann. Ja, selbst Christenmenschen kann ein so mächtiger Gott vernichten – und es gibt ja mit Hiob zumindest einen frommen Menschen, bei dem klar ist: Gott handelt bisweilen unverständlich. Wenn es aber so ist, dass allein der Glaube und die Hinwendung zu Jesus retten, so kann man fragen: Wenn Gott zornig ist, warum sollte er dann nicht auch die Frommen quälen und leiden lassen?
Diese Gedanken sind weder neu noch auf meinem Mist gewachsen. Mir scheint, dass das Gottesbild, das Edwards darstellt, weit von meinem entfernt ist. Vor allem ist es zu vermenschlicht. Kurzum: Mich stößt diese Predigt ab. – Klar, immerhin wird überhaupt etwas gesagt. Aber: Einen Erkenntnis-Mehrwert sehe ich für mich nicht.
Statt dessen stellt Edwards sich mit Jesus und dessen Getreuen auf die eine Seite, alle anderen auf die andere. Und die, die nicht mit größtmöglicher Gewissheit sich auf Jesu Seite (bei Edwards) wissen, die müssen fürchten, dass sie jederzeit verworfen werden können von Gott, in die Hölle und ihr ewiges Feuer geschleudert werden. Möglicherweise noch heute.
Ich möchte niemanden mit Angst vor einer schlechten Aussicht gewinnen, weil Ängste zwar manchmal lebensnotwendig sind, aber sie bewirken gerade so viel wie nötig. Anders gesagt: Wenn es mir um Nachfolge geht, dann sicher auch um Bekehrung. Aber: Das ist der Ausgangspunkt, keineswegs das Ende der Fahnenstange.
Wer fürchtet, dass der TÜV sein Auto stilllegt, treibt minimalen Aufwand, damit es verkehrstüchtig bleibt. Wer aber sein Auto liebt, der tut mehr. Viel mehr. – Die Angst vor unangenehmen Folgen (Hölle, ewiger Tod) ist meines Erachtens ein schlechtes Argument für Gott und seinen Sohn. Die Liebe zu Gott, das ist eine ganz andere Kategorie. Liebe aber ist ein Widerfahrnis, keine Handlung. Also nichts, das man machen kann.
Im Marketing gibt es die Kategorie FUD – fear, uncertainty, doubt. Ist mein Versicherungsschutz auch hinreichend? Funktioniert meine Zahncreme auch bei sauren Speisen, die den Zahnschmelz angreifen? – Die Tücke liegt bei diesen Verkaufsstrategien stets in der Alternative: Kaufe ich nicht mit der anderen Versicherung andere Tücken, ohne drüber nachzudenken? Enthält die alternative Zahncreme vielleicht Mikroplastik? Um jemanden zu einer Veränderung zu bewegen, sind Unsicherheit, Zweifel und Angst eine Möglichkeit. Sie sind aber eine eher schnelle Lösung, die wenig nachhaltig wirkt.
Wenn wir aber fürs Evangelium werben, so finde ich, sollte das nachhaltig sein. So, dass jemand aus eigener, intrinsischer Motivation heraus als Christenmensch lebt. – Und dies alles ist und bleibt Gabe des Geistes.
Ich jedenfalls bin froh, dass diese Art der Predigt heute eher rar geworden ist. Ja, es wäre mehr und anderes auch beim Predigen wünschenswert, als wir oft an aufgewärmten halbgaren Gedanken serviert bekommen. Andererseits: Wer möchte denn verantworten, dass auf das Verfassen von Predigten 20 – 30 % der Wochenarbeitszeit eines Pastoren verwendet werden sollten?
»Edwards hatte eine wunderbare Fähigkeit, die Auswirkungen von weit verbreiteten Annahmen der Christen zu ihren logischen Schlussfolgerungen durchzudenken, manchmal mit entnervenden Resultaten. Nicht jeder wird übereinstimmen mit all seinen Prämissen und wird sich darum nicht veranlasst sehen, seine Schlussfolgerungen zu teilen. Nichtsdestotrotz tut jeder gut daran, über Edwards Sicht der Wirklichkeit und seine ehrfurchtgebietenden Auswirkungen nachzusinnen.«
– George M. Marsden: Jonathan Edwards. A Life. (George M. Marsden: Jonathan Edwards. A Life. Yale University Press, New Haven 2003, ISBN 978 – 0‑300 – 10596‑4, S. 503.)
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