Gemein­den haben es schwer. Sie locken, wohl anders als in den 1950er Jah­ren, nie­man­den hin­ter dem Ofen her­vor: Wobei die Öfen ja auch eher kalt blei­ben bei den Ener­gie­prei­sen. Gemeint ist: Das Modell der Gemein­de, das wir ken­nen, scheint an ein Ende gekom­men zu sein. Für die meis­ten jün­ge­ren Men­schen liegt vie­les näher, als dass man sich für eine Gemein­de inter­es­sie­ren soll­te. Klar, es gibt Men­schen, die fin­den, dass eine Urschrei­the­ra­pie in der india­ni­schen Schwitz­hüt­te den ulti­ma­ti­ven Kick ergä­be. Auch die­se erzeu­gen aber kaum Begeis­te­rung in der All­ge­mein­heit. – War­um also für so abstru­sen Kram wie das Evan­ge­li­um sich begeis­tern? So den­ken vie­le, auch wenn sie es etwas diplo­ma­ti­scher sagen würden.

Die alt­ein­ge­ses­se­nen christ­li­chen Über­zeu­gungs­tä­ter gehen in die Kir­chen, gleich in wel­che, ein­fach weil das zu ihren Rhyth­men und Lebens­ab­läu­fen dazu gehört. Seit vie­len Jahr­zehn­ten gehen sie sonn­tags in den Got­tes­dienst und etwa mon­tags zum Haus­kreis. Ihnen wür­de etwas feh­len, wenn eines nicht mehr mög­lich wäre. – Und denen fehl­te wirk­lich etwas, als der Lock­down die Kir­chen hin­der­te, klas­si­sche Got­tes­diens­te mit Gemein­de durch­zu­füh­ren. – Eini­ge Tra­di­tio­na­lis­ten klag­ten, etwa aus der beken­nen­den evan­ge­li­schen Gemein­de (BEG-Han­no­ver). Das kann man machen, und es sei ihnen gegönnt.

Das alles ändert aber nichts dar­an, dass den meis­ten nichts fehlt ohne Gemein­de und ohne den Got­tes­dienst. Ganz im Gegen­teil: Wenn sie im Urlaub durch Glo­cken­ge­läut sich gestört füh­len, gera­de mor­gens früh, dann mer­ken sie das deut­lich. – Wie es in hoch ent­wi­ckel­ten Gesell­schaf­ten wie der unse­ren üblich ist: Auch dage­gen wird dann geklagt. Was mach­ten wir nur, wenn wir Kom­pro­mis­se fin­den müss­ten, statt die Gerich­te für alles und jedes zu bemühen?

Mir geht es so, dass ich den Ein­druck habe: Selbst die mitt­le­re Gene­ra­ti­on, die, die Kin­der haben im Grund­schul- und Tee­nie­al­ter, ver­mis­sen Kir­che mehr­heit­lich nicht, wenn sie kein Ange­bot macht. Sie kön­nen auch gut ohne. Selbst dann kön­nen sie gut ohne die (als nicht rele­vant emp­fun­de­nen) Got­tes­diens­te, wenn sie sich bewusst als Chris­ten­men­schen ver­ste­hen. Glau­ben ja: Got­tes­dienst: nein. Jeden­falls nicht so. Und was dann folgt, das ist ein fast all­um­fas­sen­des Nein zu Got­tes­diens­ten. Es geht nicht um einen spe­zi­el­len, nicht um die Län­ge der Pre­digt, den Stil der Lie­der. Natür­lich haben da alle Wün­sche und Vor­stel­lun­gen, was alles schö­ner und bes­ser wäre als der Sta­tus Quo. Bloß: Wenn es eine ande­re Art von Got­tes­dienst wäre, gäbe es ande­re Grün­de, nicht hinzugehen.

Wem nichts fehlt, dem braucht und soll man kei­nen Man­gel ein­re­den. – Allein: Für die, die sich in die­sem Para­dig­ma des Bestehen­den ein­ge­rich­tet haben, dies wich­tig und gut fin­den, ist die­se Abstim­mung ande­rer mit den Füßen zutiefst frus­trie­rend und gera­de­zu eine Infra­ge­stel­lung ihrer selbst. Das geht mir bis­wei­len selbst so, obwohl ich da zwar enga­giert bin, aber glück­li­cher­wei­se nur ehren­amt­lich. Zu mer­ken, dass es sich bei geist­li­chen Ange­bo­ten um einen Nach­fra­ge­markt han­delt, bei dem die »Kun­den« das wäh­len, was sie möch­ten, das ist hart. Es stellt einen gesam­ten Berufs­stand in Fra­ge: Was machen die Pas­to­ren eigent­lich? Wozu sind sie da? Es kann nicht zufrie­den­stel­len, Zere­mo­nien­meis­ter einer his­to­ri­schen und irrele­van­ten Pra­xis zu sein. Abend­mahl, so ein Mys­te­ri­um. Pre­digt: Vor­trä­ge über etwas, das nie­man­den (mehr) inter­es­siert. Was hat all das mit uns zu tun, mit den Men­schen des 21. Jahrhunderts?

Das Leben der meis­ten ist so gründ­lich ent­my­tho­lo­gi­siert, dass sie sich nicht ein­mal mehr bewusst sind, dass die Pra­xen, die wir betrei­ben, in der Tech­nik, in der Medi­zin, in der Wirt­schaft und auch in der Politk, dass die­se Pra­xen auch Nar­ra­ti­ve sind – und eben nicht »die Wirk­lich­keit«. Hier jeden­falls ist kein Wun­der­glau­be und kei­ne Mys­t­ago­gie (etwa in Form eines Kon­fir­ma­ti­ons­un­ter­richts) erfor­der­lich. So viel ist klar. Dass die Meta­pher vom Markt und der Ich-AG eben auch »bloß« eine Meta­pher ist, mer­ken die meis­ten nicht. – So weit, so frus­trie­rend. Denn Gemein­den, die jen­seits der ver­schla­fe­nen Ecken unse­rer Gesell­schaft leben, kom­men um die Ant­wor­ten auf die Fra­gen unse­rer Zeit und unse­rer Zeit­ge­nos­sIn­nen kaum her­um: Wir haben aber kei­ne ech­te Ant­wort auf die Fra­ge, war­um das, was wir machen und glau­ben, hof­fen und leben für die, die nicht kom­men, etwas ist, das ihnen fehlte.

Wir ste­hen davor, dass (fast) nie­mand einen Man­gel emp­fin­det. – Das macht unser Ange­bot für vie­le irrele­vant, und beim Rest (die sich für so etwas erwär­men kön­nen) ist die Fra­ge, ob die­ses, unser Ange­bot so viel bes­ser ist als das, das sie jetzt haben. – Ist es das nicht, dann blei­ben sie dort, wo sie sind. In der Lan­des­kir­che X oder in der röm.-kath. Kir­che, bei den Pfingst­lern oder Adven­tis­ten. Wenn es um Ver­tei­lungs­kämp­fe an einem Nach­fra­ge­markt geht, dann ändert das vie­les. Vor allem wer­den dann die Haupt­amt­li­chen jeweils auch als »Ver­käu­fer« wahr­ge­nom­men, die eben ihr Ange­bot gegen­über den ande­ren Ange­bo­ten der »Kon­kur­renz« abset­zen müs­sen. – Das erfor­dert grund­sätz­lich ande­re Fähig- und Fer­tig­kei­ten als etwa ordent­li­che Theo­lo­gie oder soli­de Seelsorge.

Vor allem ist es so, dass der geist­li­che »Markt« schrumpft. Gemein­den ster­ben, wer­den zusam­men­ge­legt. Man­che Kir­chen kön­nen bes­ser und schnel­ler als ande­re auf die ver­än­der­te Situa­ti­on reagie­ren. Die haben bes­se­re Chan­cen, dass sie bestehen blei­ben. Die ver­än­der­ten Rah­men­be­din­gun­gen betref­fen bis­her ja vor allem Euro­pa und die USA. Kir­chen, die sehr breit auf­ge­stellt sind, haben mög­li­cher­wei­se die Chan­ce, den Kul­tur­wan­del noch etwas län­ger aus­zu­sit­zen (die ortho­do­xen Kir­chen etwa und auch die röm.-kath. Kir­che, bei der die Lage je nach Land sehr unter­schied­lich ist).

Klar ist: Für die, die es als für sie wich­tig fin­den, ihren Glau­ben zu leben und dies auch in Gemein­de, ist der Wan­del hin zur Bedeu­tungs­lo­sig­keit des­sen, was ihnen wich­tig ist, eine Krän­kung und schwie­rig zu ertra­gen. Für Haupt­amt­li­che sind die Her­aus­for­de­run­gen exis­ten­zi­ell. Wohin soll das füh­ren? Was soll aus dem Berufs­stand werden?

Für mich sit die Fra­ge vor allem, wie sich Gemein­schaft der Hei­li­gen anders orga­ni­sie­ren kann als in den ver­trau­ten Gemein­de­struk­tu­ren, die sich hier­zu­lan­de vor allem am Ide­al eines Ver­eins orie­tie­ren. Es gibt da sicher Model­le, allein: Bis­her sehe ich man­che Ver­su­che, aber kei­ner, den ich gese­hen habe, über­zeug­te mich. Fresh Expres­si­ons sind nicht nach­hal­tig, auch hän­den sie zu sehr an denen, die die Arbeit machen. Web-Struk­tu­ren (wie auch die­se Sei­ten) sind eben­falls ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein. Sie kön­nen kei­ne per­sön­li­chen und ver­bind­li­chen For­men erset­zen. Ande­rer­seits: Hier ist die Schwel­le viel nied­ri­ger als in einer sonn­täg­li­chen Gemein­de, zu der man hin­kom­men muss, sich mit den For­men aus­ein­an­der­set­zen. Das wäre viel mehr »Com­mit­ment«. Bei You­tube, in einem Pod­Cast oder Web­ar­ti­kel, da kann man sich selbst unver­bind­lich anre­gen las­sen. Nicht mehr, aber auch nicht weni­ger. – Das ist es ja auch, was man­che Pre­digt möchte.

Wohin also kann uns die Zukunft füh­ren, wenn das klas­si­sche Modell von Kir­chen und Gemein­den nicht mehr mehr­heits­fä­hig, ja, für vie­le nicht ein­mal mehr rele­vant, ist?