Im September schrieb ich, warum Austritte oft nicht das gewünschte Ergebnis bringen: Sie ändern die bestehende Kirche nicht, führen allenfalls dazu, dass man selbst irgendwo im nirgendwo steht. – Andererseits erfordert das Ändern von Kirchen schon ein gerütteltes Maß an Geduld und langen Atem, um dicke, sehr dicke, Bretter zu bohren. In vielen Kirchen ist es nicht nötig, formell Kirchenglied zu sein. Mitmachen, mitarbeiten kann man/frau trotzdem. Mit bestimmten Einschränkungen.
Wenn man sich dieser Einschränkungen bewusst ist, und bereit, mit ihnen zu leben, ist das vielleicht für manche – gerade im freikirchlichen Bereich – ein Modell. Denn: Wer nicht wählen möchte, auch auf die Mitwirkung im Vorstand usw. verzichtet, kann ja dennoch am öffentlichen Gottesdienst teilnehmen. Wahrscheinlich wird man nicht aus den Hauskreisen herausgeworfen. Und getauft bleibt man ja auch, ohne formale Gliedschaft in der Kirche als Körperschaft oder eingetragenem Verein.
Ich finde das gerade auch angesichts meiner Kirche, der evangelisch-methodistischen EmK, ein bedenkenswertes Modell, denn dort ist es üblich, dass viele »Freunde« dazugehören, die sich nicht offiziell aufnehmen lassen. Die Umlage (also die Überweisung der Gemeinde an die zentrale Konferenz) wird aber nach den Gliedern berechnet. Die Pastorenstellen übrigens auch. Kirchenglieder überweisen einen Beitrag. Freunde können spenden. Spenden sind natürlich auch zweckbezogen möglich, also z.B. mit dem Vermerk »zur Deckung der Energiekosten der XYZ-Kirche«, also so, dass sie weniger allgemein ausgerichtet werden müssen. Es geht auch anders: Einfach »Spende« als Verwendungszweck.
»Aber wenn das alle machten…«
Zugegeben: Das wäre das Ende der bestehenden kirchlichen Infrastruktur. Einerseits werden das aber nicht alle machen, weil viele sehr gebunden sind an ihre Kirche und Gemeinde. Und zum anderen: Über eine halbe bis ganze Generation müssen sich die meisten Kirchen ohnehin neu erfinden: Wie gehabt geht es nämlich nicht weiter. Wenn aber neue Netzwerke entstehen, die Christenmenschen jenseits der bestehenden kirchlichen Körperschaften verbinden, dann muss das jetzt beginnen. Wir müssen jetzt experimentieren, wie geistliche Gemeinschaft jenseits der Kirchenmauern geht. Wie vielleicht das wenige Salz, das wir noch gesellschaftlich beisteuern können, die Suppe würzen kann. Ja, zugegeben, ich spreche in Bildern. Bin ich damit nicht in guter Gesellschaft? Hat nicht Jesus auch so vom Reich Gottes gesprochen? Die Jünger als Salz der Erde?
Wir haben eine Umbruchzeit. Die Formen ändern sich, das gilt wie für unsere Arbeitswelt: Immer mehr Menschen arbeiten von zu Hause aus. Das Internet ist dafür ein wichtiges Werkzeug geworden. – Und in der Tat gilt es auch für Gemeinden: Weniger Menschen kommen in die Gottesdienste. Mehr halten Distanz, konsumieren christliche Literatur in Blogs und auf Foren, sehen Bibel-TV usw. Das Angebot hat sich ausgeweitet, die verfügbare Zeit ist aber endlich. Somit gehen weniger Menschen in Gemeinden, besuchen Gruppen und Gottesdienste. Die Chance ist, dass somit die Fahrzeiten (gerade bei Freikirchen mit weiten Einzugsbereichen ein erheblicher Faktor) weniger ins Gewicht fallen.
Wenn ein Gemeindegebet von 50 Minuten mit 45 Minuten Hin- und 45 Minuten Rückweg verbunden ist, dann ist die Hürde zwei- bis dreimal so hoch. – Wenn das aber so ist, ist wichtig, dass Gemeinden die Bedeutung der medialen Angebote erkennen und wahrnehmen. Zu ihrem eigenen Besten und zum Besten der Menschen, die eben nicht nur am Ort sind.
Für Christenmenschen ist geistlicher »Content«, also christliche Inhalte, wichtig. Die kann man in einer Predigt finden, in einem Buch, einer Zeitschrift, einem Artikel im Lexikon, aber eben zunehmend auch bei Youtube, in Foren oder Blogs wie diesem. Gemeinde, Kirchen, Werke, Einzelne, sie alle erstellen diese Inhalte, wenn sie predigen, eine Gruppenstunde vorbereiten, einen Artikel für den Gemeindebrief oder eine Zeitschrift schreiben. Aber eben auch dann, wenn sie einen Youtube-Video vorbereiten und online stellen. – Letzteres führt zu mehr Vernetzung und Vielfalt, allerdings so, dass sich jeweils zeigen muss, wie verbindlich diese Vernetzung ist. Wird es zu mehr als einer Einbahnstraße? Reagieren andere, die meinen Text hier lesen? Bekomme ich E‑Mails, Kommentare oder andere Reaktionen? Bisher ist das so und ich bin froh und dankbar darüber – trotz der sehr schmalen Lücke, in der ich hier arbeite.
Dass sich die christliche Landschaft wird umstellen müssen, das halte ich für ausgemacht. – Die Präsenzgottesdienste in einer Gemeinde können nicht mehr für alle passen. Die Musik, der Stil, die Form… Andererseits bringt es nichts, für immer mehr Angebote und Vielfalt einer einzelnen Gemeinde die Mitarbeitenden zu verheizen. Techniker, Pastorinnen, … wenn die statt eines Gottesdienstes nun einen zweiten, vielleicht einen dritten für jeweils nur einen kleinen Teil der Gesamtmenge der Gottesdienstbesuchenden vorbereiten und durchführen, dann wird es nicht besser. Aber mehr Arbeit, mehr Burn-Out. Stattdessen braucht es virtuelle Vielfalt. Nicht jede Gemeinde muss und kann alles machen. – Das aber einzusehen, dass quasi Ökumene ein Kriterium der Effizienz werden kann, das fällt im klassischen Gemeinde-/Kirchendenken sehr schwer.
Andererseits sind wir definitiv im nach-konfessionellen Zeitalter… Wegen der »vorauseilenden Gnade« habe ich bisher niemanden erlebt, der wegen dieser theologischen Besonderheit in die Ev.-meth. Kirche gewechselt wäre. Für viele geht es eher um praktische Kriterien: Kann ich da parken? Gibt es ein passendes Angebot für die Kinder? Spricht mich der Predigtstil und die Musik an?
Statt jeweils mehr zu fordern und zu erwarten, finde ich die spannende Frage: Was können wir weglassen? Was können wir teilen? Wozu können wir andere einladen, um, gut abgesprochen, nur ein Angebot für mehr Menschen zu machen, das bei gleichem Aufwand mehr Nutzen bringt. Da ist noch viel Luft nach oben. Wenn in einer jüngeren Generation die Volatilität, also der Wille zum Wechsel bzw. zum »ad hoc«, steigt, dann werden die Kirchen nicht herum kommen, mehr Miteinander zu leben.
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