Weihnachten ist zur falschen Zeit, ja, auf Sol Invictus verschoben usw. Die Argumente kann man bereits bei den Zeugen Jehovas hören, weshalb es eigentlich der falsche Termin ist. – Und der Ruhetag, der siebte, das ist eben weiterhin der Sabbat und nicht der Sonntag. Der war der Tag der Auferstehung, der erste Tag der Woche. An dem aber war kein Ruhetag. – Wenn wir also Weihnachten feiern, so ist das unhistorisch und, hätte man seinerzeit ein Metronom angestellt und es bis heute durchlaufen lassen, eben einfach auf der falschen Zählzeit.
Mir geht es so: Ein Metronom als Übehilfe ist in Ordnung. Mit Musik im engeren Sinne des Wortes aber hat es wenig zu tun. – Und auch wenn ich weiß, dass es inzwischen üblich ist, Pop etwa auf einen durchlaufenden Klick (den alle, die ein Stück nacheinander aufnehmen, jeweils auf ihre Kopfhörer bekommen) zu spielen: Auch das hat m.E. mit »Musik« nicht viel zu tun. In den Besetzungen, mit denen ich spiele, atmet die Musik. Es geht um winzige Verzögerungen oder Beschleunigungen, die ein Duo, Trio oder so miteinander empfindet und berücksichtigt. Dabei geht es nicht um wackelinges Rhythmusgefühl, sondern darum, dass die Musik atmet.
Bei kirchlichen Festen geht es auch nicht um »Christgeburt im Rindviehstall« in historischer Aufführungspraxis, sondern es geht darum, dass viele Menschen, etwa etliche Kirchen, gemeinsam die Feste im Kirchenjahr begehen. Dass wir miteinander nachvollziehen und so, quasi durch die gemeinsamen Rhythmen von Advent bis Ewigkeitssonntag, Strukturen schaffen, die uns dienen. – Gott ist es doch gleich, wann wir Ostern (erster Sonntag nach erstem Vollmond nach der Frühlings-Tag- und Nachgleiche) feinern! Hauptsache, wir machen uns bewusst, dass der, der da in der Krippe geboren wurde, nach Jahren gekreuzigt wurde und auferstand.
Insofern hilft es, wenn ich weiß, dass unser Sonntag eben nicht der Sabbattag ist. Und ich habe Verständnis für Siebententags-Adventisten. Meine aber: Darum geht es nicht, sondern um Synchronität. Wenn wir ökumenisch dahin kämen, den Sabbat zu begehen, solidarisch mit den Juden, wunderbar. Dann könnte mein Suppenhauskreis (der sich derzeit montags trifft) auf den Sonntag rutschen, um in den Häusern die Auferstehung zu feiern. – Allein: Ich sehe nicht, dass da eine Bewegung hin zum Sabbat absehbar wäre. Und ich halte den gesellschaftlichen Groove, das gemeinsame Halten von Feiertagen und Rhythmen, für vorrangig gegenüber einer metronom-artigen Aufführungspraxis.
Wenn ich Musik mache, fällt mir auf, wie ich unterschiedlich begleite, und zwar abhängig davon, was gerade der Solist treibt. Ich spiele nicht zweimal Gleiches. Sicher, auf der groben Struktur schon. Aber: Wie herum ich die Akkorde anordne (Umkehrungen…), wie genau die Basslinie sich entwickelt usw., das ist alles frei und aus dem Augenblick heraus, eben weder ein eingeübtes Arrangement noch ein quasi im Muskelgedächtnis abgelegter Bewegungsablauf. Vielmehr bemühe ich mich um die Bereitschaft und Fähigkeit, aus dem Augenblick heraus passend zu reagieren.
Wie ist das mit unserem Weihnachtsfest? Gestern erlebte ich einen Christvesper-Gottesdienst mit einem Ruhestandspastor. Einerseits war dieser Gottesdienst traditionell – und doch: Es war ganz klar 2021 und nicht 1990 oder so. Gerade dann, wenn man etwas vorbereitet für konkrete Menschen, die wir vor Augen haben, ist es erforderlich, die Worte passend zu wählen, die Art und Weise, etwas zu verdeutlichen, so zu wählen, dass sie zu den Menschen passt.
Wenn Orignenes wenig davon hielt, Geburtstage zu feiern und eher die Tauftage – als Tag der geistlichen Neugeburt – zu begehen empfahl, so mag das ja zutreffen. Andererseits: Ist nicht die Geburt eine notwendige Bedingung für eine Taufe? Und: Alle haben je einen Geburtstag. Taufe kann früher oder später stattfinden – evtl. gar ganz ausfallen. Einen Geburtstag zu feiern, das ist eine insofern gute Sache, weil damit alle einmal jährlich in unser Bewusstsein kommen: Vielleicht mit Ausnahme derjenigen, die am 29. Februar geboren sind, aber die werden einfach am 1. März mitgefeiert. Es geht mir ums gesellschaftliche oder gemeindliche Zusammenspiel, nicht um kosmische Rhythmen.
Wer also wenig vom Kirchenjahr hält, sich um Feinheiten der Schwankung der Erddrehung und der Umlaufgeschwindigkeit der Erde um die Sonne kümmern möchte, sollte vielleicht eher im Bereich der Physik seine oder ihre Gaben einbringen: Das Kirchenjahr ist anders gedacht und es geht nicht ums Musizieren auf dem Klick einer Quarzuhr, sondern um Groove. Der entsteht oft erst da, wo das Metronom überwunden wird.
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