Aus einem Nachrichten-Austausch mit einem Freund heute:
»Ein Auftrag für Dich, Frank: Kann man das, was Du denkst, auch auf einem einfacheren Wege als der Sprachphilosophie denken – und wichtiger noch: begreifen? Das, was wir tun, ist so ein abstraktes und für die meisten Menschen abgefahrenes Niveau, dass man kaum Menschen motivieren kann, diese Gedanken nachzuvollziehen.«
Der Freund, mit dem ich so hin-und-her schrieb (er ist Lehrer), hatte zuvor folgendes geschildert:
»Ich hatte am vergangenen Donnerstag im Religionsunterricht in Jahrgang 6 die Situation, dass wir über Jesus sprachen und kaum Wissen vorhanden war. Mehr als Weihnachten und Ostern war nicht bekannt, ungefähre Lebenszeit. Vater und Mutter – wobei es beim Vater dann direkt Nachfragen gab: ›Ist nicht Gott Jesus Vater? Habe ich mal so gehört …‹ Völlige Irritation hat dann Ostern ausgelöst: ›Wie? Vom Tod auferstanden? Wie soll das gehen? Ist das wirklich passiert?‹ Und zu Pfingsten (und damit zur Trinität) kamen wir auch: ›Jesus ist Jesus und Gott gleichzeitig?‹
Völlige Verwirrung und einige der Kinder haben mich angesehen, als ob ich verrückt sei — auch wenn ich sagte, dass sich das alles nicht so einfach erklären ließe und dass auch ich noch keinen wirklich stimmigen Ansatz für die Trinität kennengelernt habe, obwohl ich fünf Jahre Theologie studiert hätte…
[…]Mir stellt sich die Frage nicht nur im Kontext Schule. Das, was meinen Schüler*innen unverständlich erscheint, erscheint ja erstmal allen unverständlich, die – wie die Hauskreiskollegin – nicht sagen können: ›Ich glaube das so, weil ich es so gelernt habe und nie weiter darüber nachgedacht habe.‹«
So…
So weit die Aufgabenstellung, die ich als anspruchsvoll wahrnehme. Auch bei schlichteren Gemütern aber erlebe ich, dass wir Bilder und Metaphern allenthalben gebrauchen. Gleich, ob es sich um die Frage handelt, ob die Zeit im Rausch schneller vergehe oder langsamer (Herr Lehmann) oder um die Beschreibung der Aufgaben in einem Computerspiel. Ohne Vergleiche und Metaphern, ohne das Sprechen in Gleichnissen, können wir kaum neue Teile der Welt begrifflich fassen.
Schwierig wird es, wenn die neu gefundenen Begriffe (»Menschensohn«, »Sohn Gottes«, …) anschließend zu Glaubenssätzen ausgestaltet werden und über die Rechtgläubigkeit entscheiden.
(»Und an den einen Herrn Jesus Christus, / Gottes eingeborenen Sohn, / aus dem Vater geboren vor aller Zeit: / Gott von Gott, / Licht vom Licht, / wahrer Gott vom wahren Gott, / gezeugt, nicht geschaffen, / eines Wesens mit dem Vater; / durch ihn ist alles geschaffen. / Für uns Menschen / und zu unserem Heil / ist er vom Himmel gekommen, / hat Fleisch angenommen / durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria / und ist Mensch geworden. / Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, / hat gelitten und ist begraben worden, / ist am dritten Tage auferstanden / nach der Schrift / und aufgefahren in den Himmel…«) – so im Nicäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis.
Wenn wir diese Begriffe sämtlich entmythologisieren, was bleibt dann übrig? Und andersrum gefragt: Wer kann das heute (a) redlich mitsprechen und für zutreffend halten in dem Sinne wie wir für zutreffend halten, dass zum Monatsende das Gehalt auf dem Konto sein wird, das der Arbeitgeber überweist. Wer kann das ohne (Kirchen-)Geschichts- oder Theologiestudium verstehen im Sinne von historisch einordnen?
Fundamentalisten sehen hier kein Problem
Sie brauchen lange, um die flache (also Scheibe, ganz wie in der Bibel geschildert) und junge Erde (ca. 6.000 Jahre) zu begründen, aber: Sie verabschiedeten einfach Bekenntniserklärungen (Chicogo-Erklärungen), und das ist es dann. Friss oder stirb. So einfach.
Alle anderen aber kommen nicht leicht aus der Nummer raus. Wenn ich an die Sechstklässler/innen meines Freundes denke: Für die wäre es eine Zumutung, das in ihr Weltbild einzubauen. Für zahlreiche Freundinnen und Freunde im Erwachsenenalter ist es diesbezüglich nicht anders. Ich halte dennoch daran fest, spreche diesen und andere historisch gewordene Texte mit, und meine sie auch so: Als Zitat, im Zusammenhang des Sprechens der Texte (Eco spricht gern von Intertextualität) und als Verarbeitung des einen Textes in einem anderen.
Intelligenz ist, was der Intelligenztest misst. – Inzidenz ist, was das Robert-Koch-Institut veröffentlicht. Das sind keine »Dinge in der Welt«, vielmehr handelt es sich bei so vielem in unserem Alltag um Konventionen und Sprachspiele. Sicher, wir philologisch interessierte Leute müssen uns überwinden, das so zu sehen bzw. uns auf diese Sicht einzulassen.
Wie kommen wir aber weiter, gleich ob mit Schülerinnen und Schülern einer sechsten Klasse oder denen, die in Dreieinigkeit, in Gott und Mensch zugleich usw. eine intellektuelle Zumutung sehen?
Denken in Modellen
Auch jungen Menschen ist vermittelbar, dass wir die Welt um uns in Modellen denken. In der Grundschule mögen das Elementarmagnete sein mit roten und grünen Enden. – Später dann kommen die elektromagnetischen Wellen, die klassischen Molekülmodelle und dann, vermutlich in der Oberstufe, die Spin usw. – Wichtig ist: Für das Backbuch braucht es keine Strukturformel unserer Butter unter Angabe der Orbitale, in denen die Elektroden sich herumtreiben. Es genügt, wenn im Rezept 120 g Butter gefordert werden. Wenn schon Schülerinnen und Schüler in der Mittelstufe verstehen, wie man 150 Jahre vorher über Strahlung gedacht hat, dann wird klar: Wir brauchen Modelle, die für unsere jeweiligen Zwecke passen. Diese bilden schon etwas ab. Wie zutreffend und dauerhaft gültig sie bleiben, das ist völlig offen. In zweihundert Jahren hat sich unser Bild der Welt radikal verändert. Die Wahrscheinlichkeit spricht sehr dafür, dass wir nicht am Ende sind mit den Modell-Erweiterungen.
Ohne Modelle lassen sich komplizierte Phänomene nur sehr schwierig deuten, denken und verstehen. Das Modell hat nichts mit der »Realität« des beschriebenen Phänomens zu tun. Es gibt Grammatiken des Klingonischen!
Christliche Modelle als Modelle verstehen
Die klassischen Begriffe und Denkmodelle im Christentum sind Modelle. Sie möchten Verstehensprobleme zusammendenken, dadurch einen Lösungsansatz liefern. Wenn uns etwa in biblischen Texten die Einheit Gottes begegnet (5. Mose 5 z.B.) und andererseits bereits im Schöpfungstext »lasst uns Menschen machen…« steht, und der Geist Gottes über der Urflut schwebt/brütet, dann klingt das nach unterschiedlichen Wirkweisen Gottes, die sich auf unterschiedliche »Rollen« gut abbilden lässt. Wenn Jesus sagt: »Wer mich hört, hört den Vater« und wenn – etwa in Taufberichten – die Stimme aus dem Himmel vernehmbar wird: »Dies ist mein geliebter Sohn«, dann muss das alles zusammengedacht werden.
Das tut das Modell der klassischen Trinitätslehre. Die Auseinandersetzungen – etwa um die Naturen Christi (menschlich und göttlich) – gehen weiter und kommen im Konzil von Chalcedon (451 n. Chr.) zu einem relativen Abschluss. Modelle bilden gefundene Lösungen für gewesene Probleme ab. Modelle aber sind nicht »wirklich«!
Selbstverständlich: Die Bibel!
Wir kommen m.E. nicht aus ohne die biblischen Texte. Dass man diese Texte missbrauchen und auch missverstehen kann (als »Kursbuch der Endzeit« etwa), ist klar. Ich meine gar, dass sie in vielerlei Hinsicht missverständlich sind, dass es deshalb aber vor allem ein gesundes Maß an Bereitschaft zur Beschäftigung mit den Texten braucht. Die meisten sind es nicht gewohnt, so alte Texte aus anderen Kulturkreisen zu lesen. Aber sie, die Texte, sind wunderschön. Wer das Hohelied liest oder die Hiobnovelle, wird m.E. auch literarisch in den Bann der Texte gezogen. Andererseits geht es nicht um die formale Ästhetik: Die Texte wurde gesammelt und redigiert, weil die, die das taten über einige Jahrhunderte hinweg davon überzeugt waren, dass sich in den Texten Erfahrungen mit Gott niedergeschlagen bzw. widergespiegelt haben.
Es geht m.E. nicht gut, die Texte pauschal metaphorisch, mystisch oder dergleichen abzukanzeln. Klar: Wir halten mümmelnde Hasen nicht für Wiederkäuer, auch wenn 3. Mose 11 das schreibt. Als biologische Taxonomie eignet sich der Text kaum. – Und Ezechiel etwa stellt deutlich bibelkritisch fest, dass eben nicht die Sünden der Väter an den Kindern gerächt werden, vgl. Ez. 18,20. Innerhalb der Bibel gibt es Fortschritt in vielen Bereichen des Denkens.
Wie umgehen mit gedanklichen Widersprüchen?
Modelle, die widersprüchliche Konzeptionen zusammendenken, können heute nur p oder nicht p ausssagen. Das ist der klassischen Logik geschuldet. Und weil die Menge der Menschen und die Menge »Gott« eben disjunkt gedacht werden (also so, dass es keine »Schnittmenge« gibt), darum kommen für moderne Menschen Bilder wie das von Jesus als Sohn Gottes mit einem menschlichen Stammbaum (Matthäus 1 über Joseph) schwer verdaulich daher. Wir fragen leicht: Wie ist es denn wirklich? Wenn ich nun sage: Die Frage ist der Fehler, so halte ich das zwar für zutreffend, aber eben für nicht hilfreich für die, die so fragen.
Klar ist: Hilfreich ist es, zunächst mal die (offenbar widersprüchlichen) Einzelsätze zu verstehen: Was folgt, wenn Jesus ganz Mensch ist? Und: Was folgt, wenn Jesus ganz Gott ist?
Diese Fragen helfen weiter! Und nun zum gedanklichen Profit aus dem Nachdenken über Modelle und Modellbildung: Wir denken einfach mal an die Bezolringe (oder andere Aromaten) und insbesondere an den Begriff der Mesomerie. In sehr vereinfachten Worten: Teils reagiert das Molekül so, als wären überall Doppelbindungen, teils so, als wären es Einzelbindungen. Wer das Modell verstanden hat (und wie gesagt: Es handelt sich um eine Beschreibung in zwei Weisen, die je einen Teil der »Wahrheit« beschreiben), kann etwa Luther Verständnis der Elemente beim Abendmahl mit dem Begriff des mesomeren Wandlungsverständis beschreiben. – Das ist eben keine röm.-kath. Wandlung (so dass man im gewesen Wein, der nun Blut Christi ist, eine Blutgruppe bestimmen könnte), aber es ist mehr als das reformiert gedachte »Symbol«, das Zeichen, das nur etwas bedeutet… Nein: Für Luther sind Brot und Wein Leib und Blut, aber eben nur im Glauben.
Gott braucht keine Modelle! – Wir aber brauchen sie.
Heilsexklusivität?
»Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.« (Joh.14,6).
Das nutzen Fromme leider oft als Totschlag-Argument gegen andere. In dieser Form typisch Johannes. Nichts desto trotz gehört der Vers an den Beginn der Abschiedsreden. Die Jünger haben hören müssen, dass Jesus von ihnen genommen wird. Neun Verse später wird der Heilige Geist verheißen. Immerhin: Ein Trost für die Jünger ist, dass es mit der Nachfolge nicht schwierig ist: Jesus ist der Weg, das Leben. Er führt zum Vater. So weit, so gut. Die Frage, auf die Jesus dieses Ich-Bin-Wort antwortet, stellte Thomas (der später der »ungläubige« heißen würde): »Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Und wie können wir den Weg wissen?« So einfach ist es. Das ist Jesu Antwort.
Für Nachfolgende geht es um Nachfolge. Dazu gehört auch das Weitersagen. So weit, so gut. Wen Gott bei sich haben möchte, hier und zukünftig, das überlasse ich gern ihm. Beim Weitersagen konzentriere ich mich aufs Evangelium. Für mich als Christ erschließt sich Gott uns und mir in seinem Sohn, in Jesus, dem Christus. Ja, das ist wieder so ein Sprechen in Metaphern bzw. innerhalb der Terminologie eines Modells. Ich kann die Termini erläutern, ich kann sie umschreiben oder ent- und vor allem wieder in neue Bilder kleiden. Klaus Berger nennt das Re-Mythologisieren. Anders als in Bildern nämlich können wir das Reich Gottes gar nicht denken. Weil aber unsere Lebenswelt anders geworden ist, sind vermutlich auch andere Bilder dran.
Wenn ich andere, Heiden, Muslim, Juden, Hindus liebe, weil Gott sie liebt, dann begegne ich ihnen entsprechend. Selbstverständlich bin ich bereit zur Rechenschaft von der Hoffnung, die in mir ist (1. Petrus 3,15). Aber ich bin auch so rücksichts- und liebevoll, dass ich niemanden mit Traktaten traktiere. Wenn Gott zulässt, dass sich Menschen gegen ihn oder ganz gegen einen Glauben entscheiden, dann lasse ich das selbstverständlich auch zu. Wer wäre ich denn, es anders zu halten?
Nachfolge hat viel mit Gehorsam und Liebe zu tun, wenig mit Dogmatik!
Heute scheint es so, als wäre Glaube ein unglaublich kompliziertes System von Lehrsätzen, die man sämtlich kennen, für wahr-halten und befolgen muss. Nein. Viel weiter weg vom Evangelium (was ja frohe Botschaft bedeutet) kann man sich kaum denken. Nachfolge ist Beziehung zu Gott. Beziehung zeigt sich im Tun. Das ist ja bereits bei unseren gewöhnlichen menschlichen Beziehungen so. Das lässt sich m.E. auch allen Schülerinnen und Schülern vermitteln. – Dogmatik ist etwas völlig anderes. Auch die hat ihre Funktion, ihren Sitz im Leben.
Nachfolge aber geht mit sehr wenig System und wenig Lehrsätzen. Worauf es (mir zumindest) ankommt, das ist die Verbindlichkeit, mit der beide, Gott und ich, am je anderen festhalten. – Wäre es anders, wäre ich längst kein Christ, kein Nachfolger Christi, mehr. – Das hat wenig mit Modellbildung zu tun, es ist eher eine Lebenskunst. Etwas, das schwierig abstrakt dargestellt werden kann, das sich aber im Miteinander in einer Familie, Gemeinde, einem Hauskreis, eingeübt werden kann.
Daran habe ich ein großes Interesse. Mir scheint auch, dass das für gerade Jugendliche, die ihren eigenen Glauben entwickeln, interessant ist, wie Ältere (wie ich) ihren Glauben leben. Die Reihe mit geistlichen Übungen, die durch diesen Beitrag unterbrochen ist (aus aktuellem Anlass) soll und kann dazu ermutigen.
Um es im Bild zu sagen: Nachfolge ist mein Betriebssystem. So wie iOS oder Android auf dem Smartphone. Alles, was ich mache, sind quasi Apps unter diesem Betriebssystem. Arbeit, Freizeit, Musik, Zeiteinteilung usw. Ja, ein Beispiel für Remythologisierung im Sinne Klaus Bergers. Aber auch ein Bild für mein Christsein. Andere mögen das anders machen. Bitte sehr. In Hause des Vaters sind viele Wohnungen (Johannes 14,1).
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