Was macht und inwieweit ist Gemeinde relevant?

Dass Glau­be wich­tig ist, ist unstrit­tig. Allein: In der Pra­xis ist das gar nicht so selbst­ver­ständ­lich. Was macht Glau­ben aus? Für vie­le ist Glau­be nicht allein mit Gott und mir ver­bun­den, son­dern eben auch mit ande­ren, etwa in der Gemein­de. Glau­be ist der Grund, einen Got­tes­dienst zu besu­chen, in einen Haus­kreis zu gehen, bei einer Jugend­grup­pe mit­zu­ma­chen. Glau­be ist für vie­le das Ein­stim­men in die Lie­der, die der Chor singt. Es sind weni­ger die Details des fünf­ten Arti­kels des Augs­bur­ger Bekennt­nis­ses (CA V), son­dern es sind die Tex­te der Lob­preis- und sons­ti­gen Lie­der vom Cho­ral bis zum Musical.

Bon­hoef­fers Gedan­ken eines »reli­gi­ons­lo­sen Chris­ten­tums« berei­ten für ein­zel­ne erwach­se­ne Chris­ten­men­schen kei­ne gro­ßen Pro­ble­me. Ich könn­te ver­mut­lich auch ohne Kir­che und Gemein­de als Christ leben. Wie aber kämen dann Jugend­li­che zu einem eige­nen Glau­ben? Sind die Fami­li­en dann eben mehr gefragt? Müs­sen sie Glau­ben gleich mit vermitteln?

Sicher sind die Fami­li­en wich­tig. Gera­de in Frei­kir­chen wie mei­ner mer­ke ich, wie vie­les Eltern ihren Kin­dern an Freu­de und an Hal­tung gegen­über Gott mit auf den Weg geben kön­nen. Es sind gar nicht zuerst die Inhal­te, die Glaubenssätze.

Ande­rer­seits macht das aber auch deut­lich, wie viel schwie­ri­ger es für ande­re ohne die­sen fami­liä­ren Hin­ter­grund ist. Denn heu­te ist kaum mehr ein grund­le­gen­des Wis­sen über Gott oder die Fun­da­men­te des Glau­bens All­ge­mein­gut. Anders gesagt: Wer neu hin­zu­kommt, die oder der ist sicher in Grup­pen oder Krei­sen herz­lich will­kom­men. Aber: Es folgt in der Regel eine Bil­dungs­ar­beit die bei Adam und Eva anfängt und vor allem beim Evan­ge­li­um eine Boden­plat­te legen muss.

Wenn die Grup­pen und Krei­se mit ihrer Freund­lich­keit, ihrem Inter­es­se an ande­ren usw. wer­ben: Pri­ma. Das ist aber in Zei­ten von Coro­na und sozia­ler Distanz nicht ein­fach. Denn Video­kon­fe­ren­zen sind eine eher digi­ta­li­sie­re Kom­mu­ni­ka­ti­on, in der es mehr um die Inhal­te, die Bot­schaft, geht, als eben ums Mit­ein­an­der, um die Gemein­schaft. Ich mer­ke das deut­lich bei mei­nem Sup­pen­haus­kreis. Der heißt so, weil wir gewöhn­lich mit­ein­an­der mit dem Abend­essen (eben oft einer Sup­pe) begon­nen haben. Das ist jetzt nicht mög­lich (bzw. erlaubt).

Was macht die Relevanz von Gemeinde aus?

Wenn ich das rich­tig zusam­men den­ke, dann ist Gemein­de rele­vant, weil sie die Nor­mal­form der sozia­len Form des Evan­ge­li­ums ist. Anders gesagt: Christ-Sein ist nicht das Für-Wahr-Hal­ten einer Anzahl an Glau­bens­sät­zen. Viel­mehr geht es um ein Leben in und aus der Gemein­schaft mit Chris­tus. Und das ist der Ort der Gemeinde.

Inso­fern ist der Weg­fall unse­res Kir­chen­kaf­fees ähn­lich tra­gisch wie der des Gemein­de­ge­sangs: Es geht um Gemein­schaft. Nicht um die Pre­digt. Und das Mit­le­sen eines Lied­tex­tes ist eben nicht das­sel­be wie mit­zu­sin­gen. – Wenn es gut geht, dann ist Gemein­de ein Modell­ort, an dem Jünger/innen/schaft ein­ge­übt wird. Inso­fern ist sie rele­vant für den Glau­ben. Sicher gehört auch die Leh­re und Ver­kün­di­gung dazu. Aber: Das ist ähn­lich wie die Sei­te nachfolge-postmodern.de eher etwas für Min­der­hei­ten. Vol­les Ver­ständ­nis habe ich dafür, dass es für die meis­ten nicht um theo­lo­gi­sche Details geht. Allein: Dar­auf neh­men die meis­ten unse­rer Pre­dig­ten kei­ne beson­de­re Rücksicht.

In der Sicht der meis­ten Pas­to­rin­nen und Pas­to­ren ist die Leh­re aus­ge­spro­chen wich­tig. Manch­mal erscheint es, als wäre auch das Adjek­tiv heils­ent­schei­dend nicht übertrieben.

Zumin­dest für die Jugend­li­chen kann ich das eher weit von mir wei­sen. Es geht ja ganz prak­tisch um das, was wich­tig, was rele­vant ist fürs Leben. Die Details um die eine oder ande­re Tauf­theo­lo­gie sind es (für die meis­ten Men­schen) kaum.

Was ist relevant?

Wahl­wei­se kann man über die klas­si­schen Grund­be­dürf­nis­se und deren Pyra­mi­den (nach z.B. Maslow) nach­den­ken. Essen, Klei­dung, Woh­nung sind wich­tig. Sozia­les Netz und Part­ner­schaft. Sicher­heit im Staat. – Spä­tes­tens dann, wenn wir bei der Selbst­ver­wirk­li­chung ange­lan­gen, passt Maslow nur noch bedingt. Schließ­lich stre­ben Chris­ten­men­schen doch mut­maß­lich danach, dass sich zuneh­mend Chris­tus in ihnen ver­wirk­li­che. Nicht aber sie selbst. Oder ist das die Trieb­kraft, die »Lei­ter­kon­gres­se« begrün­det? Dass also bestimm­te Chris­ten­men­schen mei­nen, zur Lei­tung beru­fen und beauf­tragt zu sein, in der sie sich ver­wirk­li­chen? – Das wäre zumin­dest ein Modell, die Nähe zwi­schen Macht und Macht­miss­brauch zu beschrei­ben. Zumin­dest kommt mir der Gedan­ke als einem, der Michel Fou­cault eben­so gele­sen hat wie Bill Hybels.

Was jeweils rele­vant ist im Leben – und eben auch für den Glau­ben, für die Chris­tus-Nach­fol­ge –, das ändert sich im Lauf eines Lebens. Es sind The­men und ent­spre­chen­de Erfah­run­gen, die an die Erfor­der­nis­se der Lebens­pha­se anknüp­fen. Für Kin­der ist es sicher die Erfah­rung, geliebt und wert­ge­schätzt zu sein. Für Jugend­li­che ist es auch die Ent­wick­lung eige­ner Posi­tio­nen im Dis­kurs mit ande­ren. Hier sind Streit und Wider­spruch kul­tu­rell erfor­der­lich. – Trotz­dem schät­ze ich die lie­ben Leu­te im Jugend­haus­kreis. Wenn sie wider­spre­chen ist das eher auch ein Zei­chen ihrer Wert­schät­zung, das ich zu schät­zen weiß.

Die Erfah­rung mit kur­zen Näch­ten und klei­nen Kin­dern einer­seits und den Erfor­der­nis­sen im Beruf ande­rer­seits sich zu arran­gie­ren, die sind wie wie­der ein ande­res The­ma. – Die Ein­sam­keit und Lan­ge­wei­le alter Men­schen, die allein leben, bil­den wie­der ein ande­res Feld. Was als erfor­der­lich und erwünscht, eben aber auch als Form der geleb­ten Nach­fol­ge jeweils passt, ändert sich über die Pha­sen im Leben.

Wie kann hier Gemein­de rele­vant sein und blei­ben? – Mei­ne The­se ist: Sie kann es nicht. Und in unse­rer Zeit, in der zuneh­mend die Ein­zel­nen zum Maß­stab wer­den, räu­men das mehr und mehr Men­schen auch ein. Sie gehen nicht mehr ein­fach so hin, wenn Gemein­de ein­lädt, weil sie sich als Chris­ten­men­schen ver­ste­hen und also so han­deln. Sie prü­fen, ob etwas passt. Wenn es passt, kom­men sie. Allein: Gemein­de wird so zuneh­mend in einen Spa­gat gedrängt zwi­schen Wün­schen vie­ler Ein­zel­ner und dem, was über­haupt mög­lich ist, was der Pas­tor, der Vor­stand oder wer auch immer anbie­ten und leis­ten kann.

Das führt zu immer klei­ne­ren Ein­hei­ten, die als kon­kre­te »Gemein­de« ver­stan­den wer­den: Mei­ne Grup­pe, mein Kreis, mei­ne Jugend­band… Beschrän­ke Band­brei­te der Milieus. Damit aber fokus­siert sich die Wahr­neh­mung der ande­ren auf recht ähn­li­che Men­schen. Das beför­dert eine Hal­tung von »wir« und »die ande­ren«. – Anfangs war es anders: Pau­lus such­te als Juden­christ die Hei­den­chris­ten, weil es ums Evan­ge­li­um ging. Wir gren­zen das ande­re in den ande­ren eher aus (wie­der ein Gedan­ke Foucaults).

Zusammenfassung:

Unter­schied­li­che gesell­schaft­li­che Bewe­gun­gen prä­gen auch das, was wir für wich­tig und rele­vant für uns und unse­ren Glau­ben, unse­re Nach­fol­ge hal­ten. Dies führt zu klei­ne­ren sozia­len Gestal­ten, nicht Kir­chen oder gesam­ten Gemein­den. – Die könn­ten wir uns auch wegdenken.

Die Gren­zen zwi­schen den Gene­ra­tio­nen, den Kul­tur­mi­lieus, den sozia­len Schich­ten usw. zu über­win­den, das bedeu­tet einen Mehr­auf­wand, für den uns oft die Kraft fehlt. Wenn wir aber dahin kom­men, im ande­ren den Nächs­ten zu sehen, dann kön­nen und soll­ten wir sie oder ihn lie­ben. – Wo das geschieht, wird Got­tes Reich gebaut. Und dort ent­steht Gemein­de, ganz unab­hän­gig, ob es sich nun um eine Kör­per­schaft han­delt, eine öku­me­ni­sche Begeg­nung oder was auch immer.

Nach­fol­ge bedeu­tet die Welt mit den ande­ren, uns selbst und auch die Gemein­de als gute Gaben Got­tes zu begrei­fen. Das frei­lich ist eine gro­ße Aufgabe.