Gestern hörte ich eine Predigt zu Apostelgeschichte 17,32 – 34 (Paulus in Athen auf dem Areopag). In der Predigt ging es darum, dass vielfach Glaube einen Anfangspunkt braucht. Der Prediger stellte den Zusammenhang her von der Predigt des Paulus von der Auferstehung der Toten und der Ablehung durch viele. Für andere passt das noch nicht. Sie bitten Paulus, darüber ein anderes Mal weiter zu reden. – Die Folge dieser Predigt von der Auferstehung ist jedenfalls, dass Paulus verstummte. Einzelne, etwa Dionysios, der Areopagit, und eine Frau namens Damaris schließen sich dem Paulus an und bekommen quasi durch Gottes Geist gezeigt, welche Entscheidung sie treffen müssen: Für Paulus und die Christusnachfolge – und gegen ihr vorheriges Leben.
Nicht viele reagierten positiv in Athen, einige aber führt der Geist Gottes dazu, eine Glaubenszelle zu bilden. Vielleicht eine Hausgemeinde? – Der Prediger sprach davon, dass das, was Paulus sagte, in ihren Herzen etwas zum Klingen brachte, das sie in die Nachfolge (be-)rief. So weit, so gut. Allein: Das hat nichts damit zu tun, ob die Auferstehung nun eine Tatsache ist. Es handelt sich viel mehr um einen hermeneutischen Schlüssel, der einzelnen etwas verständlich macht, das ihnen zuvor unverständlich war.
Wir haben sehr wohl ein Interesse oder einen Drang danach, Beobachtungen, Gehörtes und Erlebtes in einen Zusammenhang zu setzen. So funktionierte die Propaganda des Nationalsozialismus und alle Verschwörungserzählungen, etwa die mancher Corona-Leugner. So funktioniert aber auch wissenschaftliche Theoriebildung. Es gibt da ein Narrativ, einen Zusammenhang, den jemand durch eine Zusammenschau und auslegende Deutung unterschiedlicher Details liefert. Manche überzeugt dies. Andere überzeugt es nicht.
Predigt-Hören
Wenn wir eine Predigt hören und sie bewegt unser Herz, dann geschieht eben das: Wir haben vielleicht an unterschiedlichen Dingen herumgedacht, gedanklich geknabbert. Verstehen aber bis zu dem Punkt vieles nicht. Und dann wird durch die Predigt vieles zusammengebracht. Wie sonst sollten wir unser Bild von Welt bauen?
Die Auferstehung ist vielleicht für Griechen und nicht nur für die schwierig vorstellbar. Sie widerspricht unserer gewöhnlichen Wahrnehmung: Tot ist tot. Auferstehung ist ein sehr seltenes Ereignis, klar. Die Häufigkeit ist aber über 1, denn Jesus erweckt ja den Lazarus und die Tochter des Jairus auf. Auch im alten Testament werden gelegentlich Tote auferweckt respektive dies berichtet.
Dass sich etwas in einem Verstehenszusammenhang erschließt hat aber gar nichts damit zu tun, ob es so (gewesen) ist. In anderen Worten: Narrative, eben diese Erzähl- bzw. Verstehenszusammenhänge, brauchen eine gewisse Grundplausibilität. Bei der Homöopathie etwa ist die nicht sehr ausgeprägt. Trotzdem wird die Deutung in Gebrauch genommen und sie scheint zu funktionieren. – Bei anderen Narrativen (etwa aus dem Bereich der physikalisch-chemischen Modellbildung) enthalten diese ein prognostisches Potenzial: Sie bieten eine Erklärung an, die, wenn die Theorie überprüft werden kann (oft erst viel später), Deutungen für andere Bereiche bietet. – So ist das ja auch beim Glauben: Wenn es so ist, dass Gott seinen Sohn auferweckt hat (vgl. 1. Kor.15), dann kann er auch uns alle auferwecken und zu einem ewigen Leben in Gemeinschaft mit sich führen. Insofern spricht vieles für diesen Glauben als Verstehenszusammenhang. Übrigens nicht allein für Paulus, sondern auch für mich.
Probleme und Scheinprobleme
Das alles hat aber nichts damit zu tun, ob es »wahr« ist. – Meine Schwierigkeit besteht eben nicht in der Annahme der Auferstehung (oder eines anderen Motivs der Kirchen- und Dogmengeschichte), sondern mit einem Wahrheitsbegriff, der aus der Korrespondenztheorie bzw. Adäquationstheorie herkommt (eine Aussage ist eben dann wahr, wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt), die aber (seit dem »Liguistic Turn«, seit der Wende zur Sprachphilosophie, zur Handlungstheorie, und zur Analytischen Betrachtung völlig vormodern daherkommt. Da liefern der Erlanger Konstruktivismus und Jürgen Habermas schon deutlich mehr; wenngleich sie bei der Deutung der Prädikatoren »wahr« und »falsch« nicht zur Übereinstimmung fanden. Zielführend finde ich die Konzeption des Methodischen Kulturalismus.
Eine Idee im Platonischen Ideenhimmel für etwa Farben oder Leben steht uns nicht zur Verfügung. Daher ist es schwierig, ein-eindeutig zu entscheiden, welche Dinge der Farbe blau noch zugeordnet werden können, oder bei welcher Wellenlänge der reflektierten Lichtpakete wir schon von violett sprechen müssen (Grenzen im kontinuierlichen Spektrum). Ähnlich ist es mit tot und lebendig, die klassisch eben als disjunktes Begriffspaar verstanden werden (entweder tot oder lebendig, ein drittes gibt es nicht). Herztod? Brauchen wir Hirntod? Es gibt etwa bei der Organtransplantation eine Menge weiterreichender Fragen zu bedenken. – Gerade bei komplexen theoretischen Begriffen kommt man so leicht zu Definitionen wie: »Intelligenz ist, was der Intelligenztest misst.«
Sachverhalte vs. Narrative
Kurzum: Wir erleben oft, dass gut gemeinte »Belege« oder »Hinweise« auf die eine oder andere Art versuchen, einen Narrativ, eine deutende Erzählung, so zu liefern, dass folgt: »Die Bibel hat recht, alles ist so gelaufen, wirklich so gelaufen, wie es dort berichtet wird.« – Das ist mir sympathisch, aber: So einfach kommen wir mit der Vielfalt biblischer Texte nicht zurecht. Auch verkennt, wer so denkt, dass auch die biblischen Texte Narrative, eben deutende Erzählungen, sind. Da spiegeln sich Glaubenserfahrungen aus unterschiedlichen Zeiten wider. Da gibt es Umdeutungen, etwa wenn Ezechiel die Schicksalsethik über Generationen (Ez.18,1ff) aufhebt oder wenn das Buch Prediger und die dialogischen Passagen des Hiobbuches die klassische Weisheit (mit ihrem Zusammenhang von Tun und Ergehen) überwinden.
Jede Deutung braucht eine Grundplausibilität – sonst funktioniert kein Narrativ. Glaube ist eine Antwort eines Menschen auf das, was Gott diesem Menschen zeigt bzw. was der Mensch zu hören bereit ist. Zugleich ist Glaube eine Deutung unserer (eigenen) unterschiedlichen Fragen und Wahrnehmungen zur und in der Welt (mit Sachverhalten und anderen Texten/Narrativen).
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