Kirchen: Schrumpfen ist weder Weckruf noch Hoffnungszeichen
Einige meinen, dass die rückläufigen Gliederzahlen in den großen wie in den kleinen Kirchen eine Art Gesundschrumpfung bildeten. Dass also so etwas wie eine Flurbereinigung erfolge, weil der soziale Druck nachlässt, der früher möglicherweise längst distanzierte Menschen an einem Kirchenaustritt hinderte.
Manche, gerade in Freikirchen, begrüßen das. – Sie übersehen aber, dass die Austritte und Schrumpfungsprozesse eben nicht nur die Landeskirchen betreffen und keinesfalls nur die römisch-katholische Kirche. Vielmehr treten jüngere Menschen vielfach nicht mehr in die Freikirchen ein. Sie schieben die Mitgleidschaft – anders als das früher war – immer weiter hinaus.
Ich kann das einerseits gut verstehen, denn wenn eine Kirche, wie die evangelisch-methodistische (meine eben) sich gerade über den Fragen des Umgangs mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zerlegt und weltweit im Begriff steht, sich zerreißen zu lassen, dann ist das kein Unternehmen in das man eintreten möchte.
Das geht vielen in anderen Freikirchen ähnlich. Kurz gesagt: Allenthalben werden es weniger, die sich als kirchlich gebunden verstehen und begreifen.
Schrumpfen als Weckruf?
Neulich nun hat die links-evangelikale Internet-Seite von Sojourners in einem Artikel darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um ein Art von Weckruf handele, wenn die Spiritualität da sei, aber die kirchliche Bindung immer weniger. Inzwischen zeigen Meinungsumfragen, dass sich nur noch 47 % der US-amerikanischen Bevölkerung einer Kirche, Synagoge oder Moschee zugehörig fühlen.
In Deuschland ist das System anders, deutlich eher traditionell mit staatlichem Kirchensteuereinzug. Hierzulande sind gut 50 % der deutschen Bevölkerung in einer der großen Kirchen.
Ein Weckruf, wenn wir diese Deutung einmal probeweise annehmen, hieße ja: Jetzt aber aufmerken und die Menschen, die nicht mehr kommen, besser ansprechen und in den Blick nehmen. – In der Hoffnung, dass die dann wieder brav kämen.
Das erwarte ich nicht, halte es eher für äußerst unwahrscheinlich. Wenn im oben genannten Artikel Adam Russell Taylor zutreffend schreibt, dass es erforderlich werde, die Ekklesiologie, also die Lehre von der Kirche, ganz zu durchdenken: Ja, das stimmt. Aber: Es ist keine Frage mehr, wie Kirche ist. Der große Unterschied liegt nicht allein darin, wie die bestehenden Kirchen etwa mit Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und geschlechtlicher Orientierung umgehen. Es geht um das, was Kirche an sich bisher ausmacht: Kirche wird im Artikel verstanden als House of Worship, also einen Ort, Gott zu verehren.
»That does not make organizational changes unimportant. Again, organizations can actually make choices that lead to greater or lesser health. Yet, US Methodists (and US Christians generally) are fooling themselves if they think that they can solve a cultural problem with organizational solutions. Such an approach is an example of what leadership expert Ron Heifetz refers to as a technical solution to an adaptive problem.« — so Dr. David W. Scott hier.
Das aber ist zunehmend nicht mehr mit organisierter Religiosität verbunden. Man kann heute ein ganz eigenes Programm dazu aufbauen mit Netzwerkstrukturen statt in den (stets etwas steifen) Formen, die eine bestehende Kirche (oder dergleichen, das gilt auch für Synagogen und Moscheen) bietet. Netzwerke bieten persönliche Kontakte zu anderen (teils via Telefon, Chat, Treffen usw.), bietet geistliche Impulse (Predigten, Vorträge, …) auch via Internet etc. – Kurz: Statt eines Programms, das dann für alle passen soll, kann man sich derzeit sehr individuell zusammenstellen, was passt.
Sicher: Damit das jemand tut, ist oft ein Erstkontakt in einer bestehenden Gemeinde oder Gemeinschaft ausschlaggebend. Wenn es da aber nicht passt, weil andere nicht so denken, glauben, beten, singen … wie ich, dann kann ich verhältnismäßig einfach ein anderes Programm stricken.
nicht Fehler im Detail, sondern auf ganzer Linie
Dabei ist das Versagen von Kirchen und Gemeinden auf vielen Ebenen (vom fehlenden Aufstehen für Unterdrückte über die Fälle sexualisierter Gewalt bis hin zu schlechten Beispielen, die Wasser predigen und Wein in ihre Wanne durch vergoldete Armaturen laufen lassen) nur ein Faktor. Alle wissen wir, dass es auch in Kirchen und Gemeinden menschelt. Aber: Der eigentliche Punkt ist nicht, dass so etwas passiert. Der Skandal ist, dass wir diese Strukturen so belassen, dass das immer wieder passieren kann und wird. Daran müssen wir etwas ändern. – Im Prinzip muss es einige Schritte in Richtung eines religionslosen Christentums gehen, an dem Bonhoeffer in seinem letzten Lebensjahr herumdachte.
Sicher, das Konzept ist unfertig. – Klar ist aber, dass wir in der Ekkelsiologie nicht ein paar Tippfehler berichtigen müssen, sondern noch einmal völlig neu denken – im Blick auf mündige Menschen, die wir ernst nehmen, so wie Gott sie ernst nimmt.
Er lässt zu, dass wir ihn ablehnen. – Und warum haben wir als Gemeinden und Kirchen etwas dagegen, wenn die Kirchen uns ablehnen? Liegt es nicht an uns, so zu leben, dass wir interessant und unser Angebot des Glaubens relevant wird für die Menschen? Bei Jesus war es so, dass er keine Werbeflächen buchen musste: Die Menschen kamen zu ihm, wollten etwas von ihm.
Von heutigen Gemeinden erwarten die meisten nicht viel. – Und wenn ich mir die Angebote im Internet ansehe: Für mich ist das meiste nicht relevant.
Ja, es gibt manche Ausnahmen. Gott-sei-Dank! Viel ist leider gar nicht dazu angetan, die Menschen erst und als mündig anzunehmen. Und so wird das nichts, nicht in der Moderne, schon gar nicht aber in der Postmoderne.
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