Strukturen nicht (architektonische) Gebäude…
Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um die architektonischen Kirchenbauten, die mancherorts viel Geld, Kraft und Mitarbeit verschlingen. Auch geht es nicht um Denkmalschutz. Vielmehr geht es um Kirche und Gemeinde jenseits aller Gebäude. Auch die Ämter, Gremien, Kirchenordnungen werden ab einem gewissen Stand (und der hat oft mit dem Alter zu tun) kaum mehr modernisierbar. Es gibt immer einige, die dran hängen, wie die Dinge sind und lange schon waren bzw. gewesen sind.
An solchen Stellen kann man nur entscheiden, sich entweder aufzureiben, in der Hoffnung, doch zum mutmaßlich Besten der Kirche eine Generalrenovierung anzustreben, teils gegen erhebliche Widerstände. Nichts gegen die sachgerechte Sanierung, aber: Stuck ist mühsam und teuer. Das gilt auch für die anderen Gewerke. Oft ist es schneller und vor allem wirtschaftlicher, nicht zu viel Kraft und Zeit auf solche Sanierungen zu verwenden.
Statt dessen baut man einfacher neu. Und zwar nur das, was wirklich aktuell gebraucht wird. Kirchen schrumpfen. Und: Ich spreche nicht von der Architektur, sondern eher von den Gremien und den Strukturen der (Selbst-)verwaltung. Delegierte allenthalben; das ging als Kirchen wuchsen. Auch Hauptamtliche, die für viele zentrale Aufgaben unverzichtbar waren, sind eher ein Ausdruck eines Denkens von vor vierzig oder fünfzig Jahren.
Heute hat sich vieles verändert: Strukturen sind weniger statisch, weniger über z.B. Familien und Orte konzipiert. Die Arbeitswelt ist hochflexibel. Mehr und mehr Menschen müssen auch sonntags arbeiten. Und unter der Woche sind Gruppen und Kreise allenfalls virtuell möglich, weil viele laufend anderswo sind. – Da braucht man einfach weniger Gemeindehaus. Statt dessen mehr schnelles Internet. Delegierte, die sich viele Wochenenden über treffen, sind in Coronazeiten völlig undenkbar. Aber auch sonst: Ein Modell von vorgestern. Jens Stangenberg hat über »Fluide Kirche« einen Podcast aufgenommen. Hörenswert, wenngleich derzeit noch unvollendet.
Umverteilung und Nullsummenspiele
Kirche, das ist vor allem eine Form strukturierter Gemeinschaft mit anderen Christenmenschen. – So wie sich ändert, wer da zu welchen Zwecken zusammen kommt, so flexibel sollte Kirche sein bzw. werden. Die Zeiten des Amtsschimmels und der Vereinsmeierei ist längst vorbei, bloß haben das noch nicht alle Gemeinden und Kirchen gemerkt. Allein: Nicht allein in der römisch-katholischen Kirche gibt es Bewegungen wie Wir sind Kirche. Das erinnert etwas an Wir sind das Volk, besonders zum Ende der DDR. Es werden laufend weniger. Klar, das kann man denen vorwerfen, die weggehen. »Republik-Flüchtlinge« hieß man sie damals. Heute sagt das in den Gemeinde niemand so, gedacht wird aber dasselbe: »Hier, bei uns, hier ist doch das Heil!« — Und dieser Gedanke ist es, der Jesus schon durch die Hohenpriester präsentiert wurde. Half bloß nichts, bereits zu Jesu Zeiten erwies sich, dass die offiziellen religiösen Institutionen leider ohne Gottes Geist geplant hatten. Das ist heute nicht anders. Es droht allenthalben. Ökumene bedeutet dann, im Kopf und im Herzen anzuerkennen, dass Gottes Reich eben auch bei den anderen ist, bei denen, zu denen die eine oder der andere gehen mag. Fürs Reich Gottes bleibt das ein Nullsummenspiel, denn Umverteilungen ändern die Summe nicht.
Wer sein oder ihr gesamtes Leben lang gute Erfahrungen an eine Gemeinde und Kirche geknüpft hat, hängt selbstverständlich an dieser Kirche. Oft meint das den Raum, aber eben auch die Gottesdienste, die gemeinsamen Erlebnisse, die Erfahrungen mit Gott. Gemeinde, das ist eben gelebtes Leben. – Je älter wir werden, desto wichtiger und kostbarer wird das.
Neu bauen?
Wie bei manchem Altbau kann man an den Punkt kommen, an dem eine Sanierung nicht mehr wirtschaftlich ist. Mir scheint, dass es bei den meisten Kirchen längst so weit ist. Bei einigen sind es die personellen und hierarchischen Strukturen (ich denke etwa an die röm.-kath. Kirche); da ist meines Erachtens nicht viel zu retten. Den Pflicht-Zölibat halte ich für einen fundamentalen Fehler. Dafür sind die wenigsten gedacht und gemacht. Und alles, was seither geschah, ist ohne diesen Hinweis nicht zu fassen. In den Landeskirchen sehe ich große konstruktive Mängel in Angewiesenheit auf ein staatliches Gegenüber (klassisch auf die Landesherren), was in unseren Zeiten säkularer Bundesländer nicht gut funktioniert. – Und: Wie soll denn ein Pastor 3.500 Schafe als Hirte weiden? Das kann nicht funktionieren. Folglich ergibt sich eine Konzentration auf die Kerngemeinde, die Ränder bröseln.
In den Freikirchen kämpft die Moderne mit dem Fundamentalismus. Die einen stolpern über die Frage, wie viel Moderne denn sein soll oder darf. In meiner Kirche ist der Stein der Anstoßes alles im Umgang mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Gerade hat sich in der Evangelisch-methodistischen Kirche der Gemeinschaftsbund gegründet. Die wertkonservative Ecke. Ein Erfordernis, damit die Kirche nicht völlig explodiert. Eher nicht das, was man in der Welt erwartet, eine Kirche mit Fallunterscheidung, wie man das sonst aus der Mittelstufen-Mathematik kennt.
Kurz: Sanierungen sind oft überaus mühsam, teils unmöglich. – Was aber statt dessen? Ohne Kirche ist vermutlich auch keine Lösung für die meisten. Mir geht es auch nicht darum, dass die eine oder die andere hier (geringfügig) besser aufgestellt wäre. Das Problem besteht sicher graduell, das aber überall. Wenn wir aber dahin kommen, dies zu erkennen, was tun wir dann? Was können wir tun?
Statt auf Dauer lieber auf Sicht…
Kirchen sind prinzipiell auf Dauer angelegt und eingerichtet. Das folgt aus ihren Rechtsformen und etwa daraus, wie sie die Altersbezüge ihrer Mitarbeitenden sichern. – Statt dessen wäre ein flexibles Modell mit reinen Projekten ein Gegenentwurf. Ein Freund ist Missionar. Er lebt von den Spenden einiger Unterstützer. Klar, so kann man keinen Apparat mit Verbeamtung usw. aufziehen. Aber: Man kann schnell Projekte anschieben, auch vollzeitlich Mitarbeitende bezahlen. Die Misch-Finanzierung (Brotberuf und Teilzeit-Pastor) waren und sind in der Kirchengeschichte gut belegt, ob nun bei den französischen Arbeiterpriestern oder bei Paulus – ja, auch etwa im deutschen Baptismus.
Einige Gemeinden sind bereits völlig in der so genannten Gig-Economy angekommen, also da, wo man Ressourcen nach Bedarf mietet, Mitarbeitende je nach Erfordernis für Stunden, Tage oder Projekte beschäftigt. Im Kern geht es nicht so sehr um das Modell, sondern darum, ob wir auf Dauer denken (wie klassische Kirchen) oder auf einen konkreten Bedarfsfall. Dann nämlich haben wir zwar weniger Sicherheiten im Sinne von: Das haben wir immer so gemacht! respektive Das haben wir nie so gemacht! – Dafür haben wir bei allem ein Ziel und suchen nach den je passenden Werkzeugen. Bei jedem Projekt schauen wir abschließend, ob es uns dem Ziel – dem Bau des Reiches Gottes – näher gebracht hat.
Fast alle Lebensmittel, die wir in den Geschäften kaufen, haben ein aufgedrucktes Mindesthaltbarkeitsdatum. – Warum hat unser Gottesdienst in seiner Form keines? Schön, wenn er auch nach drei oder vier Jahren gut für die Gemeinde passt. – Aber niemand soll erwarten, dass irgendeine Lösung ewig hält.
Gemeinde und Kirche sind Mittel, aber keine Selbstzwecke
Christus als Gemeinde gegenwärtig – ums mit D. Bonhoeffer zu sagen. Die Gemeinde und jede Kirche ist eine Wirkweise Gottes in der und in die Welt hinein. Oft gerät diese Sicht völlig außer Acht. Wir tun so, als wäre Gemeindeaufbau ein Selbstzweck. Als wäre Bestandswahrung (im Kirchenbuch) der Daseinsgrund für Kirche und Gemeinde. – Das aber ist ein fundamentales Missverständnis. Es geht um eine Dienstgemeinschaft, Dienst für Gott und für die Menschen, und zwar gerade auch für die, die bisher nichts vom Evangelium wissen.
In bestehenden Gemeinden und Kirchen erscheint es öfter so als wäre statt dem Dienst an der Welt und an Gott die Fortführung und Fortschreibung kirchlicher Praxen der Grund für das Bestehen der Kirche. Ich fürchte, dass das nicht funktioniert. Da sich derzeit die Umbruchprozesse beschleunigen, Corona-bedingt und technisch getrieben, lade ich alle ein, die Kirchen und Gemeinden in den nächsten zehn Jahren zu beobachten. Ich jedenfalls erwarte zunehmend weniger von allen Kirchen und um so mehr davon, dass Gottes Geist in Projekten und Initiativen wirkt, viele davon ökumenisch.
Kirche als Tiny House?
Zumindest in der virtuellen Welt gibt es einen Trend derzeit: Man baut sehr klein, oft gar transportabel. Nicht mehr Villa ist angesagt, zu deren Bewirtschaftung man einen Stab von Beschäftigten braucht. Vielmehr sind es umgebaute Lkw-Auflieger oder dergleichen, die für den Single oder das Paar genügen. – Wie wäre es, Kirche so zu denken? Mit einer bedeutend einfacheren und überschaubareren Struktur?
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