Gemeinden brauchen Wachstum: Einmal, weil sie dazu ureigentlich da sind, um Jünger/innen zu gewinnen für das Evangelium und damit für das Reich Gottes, das in Christus angebrochen ist. Andererseits brauchen Gemeinden Wachstum, weil seit der frühen Christenheit stets welche gestorben sind, und noch immer ist die Wiederkunft Christi nicht eingetreten.
Dieses Wachstum ist eine Notwendigkeit: Ohne dass Menschen dazu kommen, sterben Gemeinden aus, insbesondere solche, die nur eine Generation erreichen. Die kommen vielleicht gut miteinander aus und klar, werden gemeinsam alt, und dann ist es das mit der Gemeinde. Anders gesagt: Entweder entsteht Wachstum wie bei Mönchen und Nonnen durch Zellteilung, oder aber – und das ist heute das Normale – durch solche, die neu hinzu kommen. Dass Gemeinden allein aus eigenen Kindern und Enkeln bestehen könnten, das ist in Zeiten hoher Mobilität und geringer Geburtenrate nicht nachhaltig.
Wenn aber Wachstum, dann eher nicht wie in der 1960er Jahren durch evangelistische Großveranstaltungen mit Prediger und Bekehrungsaufruf: Diese Art-und-Weise ist gefühlt überaus altbacken. So geht es also eher nicht. Es reicht nicht, dass jemand (der/die Prediger/in) den Menschen sagt, dass diese Christus brauchen: Etwas mehr darf und muss es meist schon sein, allein deshalb, weil das Wissen um und die christliche Prägung eben kein Gemeingut mehr sind.
Weiter traue ich Gottes Geist zu, dass der wirken kann wie seinerzeit zu Pfingsten. »Die nun sein Wort aufnahmen, wurden getauft; und es wurden an jenem Tag etwa dreitausend Seelen hinzugetan.« (Apg.2,41) – Bedauerlicherweise erleben das aber die wenigsten Gemeinden. Bei den meisten ist es eher so, dass kaum neue Leute hinzu kommen. Viele meinen, dass sie wüssten, worum es im Evangelium gehe. Das reicht ihnen, um zu entscheiden: »Das interessiert mich nicht.« Insofern kann das Begleitprogramm noch so gut sein, zu einer Evangelisation geht man heute nicht.
Klar, Gemeinden wünschen sich, dass Menschen zu ihnen kommen. Das geschieht aber nur selten. Wenn es also nicht die evangelistischen Events sind und auch nicht der Gemeindealltag (zumal in Corona-Zeiten), wo denn dann geschieht es, dass Menschen mit dem Glauben in Kontakt kommen? – Sicher: Teils medial vermittelt. Bei einem Youtube-Video, bei einem christlichen Buch, … Ja, das gibt es. Aber es ist auch eher nicht die Regel. Ich behaupte, dass es mit dem Evangelium wie mit Viren so ist: Wenn man einander nahe kommt, ist Glaube ein Thema. Wenn dann die, die schon glauben, denen, die bisher nicht glauben, echt und glaubhaft etwas von ihrem Glauben weitersagen, dann ist das eine gute Chance, dass Glaube entsteht, dass er sich im Dialog (mit einem oder einer anderen Christen/in und Gott) sich entwickelt und reift. Und irgendwann ist es dann so weit, dass eine/r, die/der früher nicht glaubte, sich als Christ/in versteht. Ja, ein Wunder.
Eine Grundveraussetzung, dass das geschieht ist, dass Christenmenschen sprachfähig sind in Glaubensdingen. Dass sie andere in ihr Leben blicken lassen. Dass sie glaubwürdig leben und andere teilhaben lassen. Das gilt auch und gerade für die Begegnung und Gemeinschaft mit Un- oder Andersgläubigen. Das Ziel darf aber nicht sein, einen Moslem oder Atheisten zu bekehren, sondern die oder den anderen zu lieben und ihm oder ihr als (Christen-)mensch zu begegnen. Den Rest darf und muss Gott schenken. Selbstverständlich freue ich mich, wenn dabei Glaube entsteht. Aber ich freue mich auch, wenn ich die Gemeinsamkeiten zwischen dem Glauben und Leben des Moslem und mir erkenne und wir einander Freunde werden. Alles kann geschehen, aber nichts muss. Glauben schenkt und bewirkt Gott, den kann nicht ich machen.
Gemeinden, in denen es Hauskreise, Zellgruppen oder Kleine Gruppen gibt, in denen auch solche dazu kommen (können), die bisher nicht glauben, sind insofern besser dran als andere, weil es hier mehr Möglichkeiten gibt, »normale Menschen« zu erreichen. Dass das nämlich immer und alles der Pastor oder die Pastorin bewerkstelligen soll, das ist unmöglich und es zu erwarten ist vermessen. Wenn wir nicht alle Verantwortung übernehmen, dann sollten wir nicht mit viel Wachstum rechnen. Wenn das bloß der Pastor machen soll, dann ist klar: Mehr als eine Handvoll Menschen im Jahr ist da kaum zu erwarten.
Wenn es aber so ist, dass alle, die sich als Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi verstehen, andere auf ihn und die gute Nachricht hinweisen, dann ist das um ein Vielfaches ein größeres Potenzial, das nutzbar wird. Alle haben Kolleginnen und Nachbarn, Mitschüler und Sportkollegen, Chorschwestern und VHS-Kurs-Kolleginnen. Die alle sollten wir nicht mit Traktaten traktieren, wohl aber lieben und da, wo es passt, etwas sagen oder tun um Christi Willen. Den Rest kann, darf und soll dann der Geist Gottes bewirken, wie seinerzeit zu Pfingsten.
Exponentielles Wachstum, das bedeutet, dass wir alle ansteckend Leben als Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi, und eben nicht bloß die Profis.– Gemeinden, die das ermöglichen und organisieren, die es fördern, dass möglichst viele sprachfähig werden, die haben die Grenzen ihres Wachstums noch nicht erreicht. – Leider ist die Mehrheit seit geraumer Zeit der Meinung, dass die Grenzen des Wachstums erreicht seien.
Etwas zum Weiterlesen bei Jens Stangenberg: Ein Aufsatz von 1999 aus Aufatmen zu Zellgruppen-Gemeinden.
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