Anfang der 1970er Jah­re war nicht alles bes­ser, aber es war klar, in wel­chen Berei­chen Kir­chen gefragt sind: Die sozia­len Her­aus­for­de­run­gen, denen sich Links­evan­ge­li­ka­le wie Jim Wal­lis (Sojour­ners)  stell­ten, ver­stan­den sie als Teil des Evan­ge­li­ums. Eben­so wie die Über­win­dung der Unge­rech­tig­kei­ten in der Welt durch Apart­heit und Ras­sen­dis­kri­mi­nie­rung. Heu­te gel­ten »Black lives mat­ter« eher nicht als ein evan­ge­li­ka­les Pro­jekt, weil der Begriff »evan­ge­li­kal« heu­te mehr­heit­lich von rechts geka­pert ist.

Ges­tern erschien eine Fol­ge zum Pos­t­evan­ge­li­ka­lis­mus in »Das Wort und das Fleisch«, einem Pro­jekt von Worthaus.

Fundamentalisten werden mehr

Klar ist: Eini­ge bestim­men ihre durch­weg vor­mo­der­ne Posi­ti­on ger­ne fun­da­men­ta­lis­tisch. Die drei Chi­k­ago­ger Erklä­run­gen mögen da als Bei­spiel gel­ten – noch deut­li­cher im eng­li­schen Wiki-Arti­kel… Sie haben sich damit glei­cher­ma­ßen abge­na­belt vom zeit­ge­nös­si­schen Dia­log, weil sie die Bibel als in allem für maß­geb­lich anse­hen, in Fra­gen der Wis­sen­schaft wie der Geschich­te. Und das führt dann zu Annah­men wie einer fla­chen Erde (flat earth) und einer jun­gen Erde (um die 6.000 Jah­re). Es führt aber auch dazu, dass etwa tra­di­tio­nel­le Rol­len von Mann und Frau fort­ge­schrie­ben wer­den. Was Fun­da­men­ta­lis­ten eint, das ist die Feind­schaft gegen die Moder­ne und alles moder­ne. Damit gehe näm­lich der Ver­lust von Wer­ten und Fami­lie, kurz: Das mora­li­sche Leben an sich vor­aus. Statt des­sen haben wir heu­te Athe­is­mus, Isla­mis­mus, Gen­der-Wahn­sinn usw. Lau­ter Neue­run­gen, die man zutiefst ablehnt.  Wer da tie­fer ein­tau­chen möch­te, dem sei eine hal­be Stun­de You­Tube-Stu­di­um emp­foh­len. Es gibt Erschreckendes.

Dass ich dem Fun­da­men­ta­lis­mus wenig abge­win­nen kann, wird schon deut­lich. Mir liegt an Chris­tus und ich hal­te gegen­über die­ser Bin­dung alles ande­re für nach­ge­ord­net, ja, selbst die Bibel, die von Chris­tus berich­tet, aber eben auch von vie­lem anderen.

Evangelikal war mal

Zuneh­mend passt evan­ge­li­kal weni­ger zu einem Gegen­ent­wurf (wie das mal bei Gra­ham in den 1960er Jah­ren der Fall war und viel­leicht bei Wil­low Creek in den 1990er und 2000er Jah­ren). Die unter­schied­li­chen Bewe­gun­gen stol­pern über vie­ler­lei Tücken des Objekts. Bei Gra­ham & Co. wart klar, dass der Glau­be und die Chris­tus­nach­fol­ge sons­ti­ge Unter­schie­de zwi­schen unter­schied­li­chen Men­schen und The­men über­win­den soll­te, was sich als nicht ein­fach her­aus­stell­te: Die poli­ti­schen Unter­schie­de zwi­schen sozia­ler und kon­ser­va­ti­ver Poli­tik waren gewal­tig. Klar, nicht unüber­wind­lich. Aber: Weder das ZDF nimmt in sei­ner Doku­men­ta­ti­on die Unter­schie­de zwi­schen z.B. sol­chen Evan­ge­li­ka­len wahr, die Trump stütz­ten und etwa far­bi­gen Gemein­den, die auch evan­ge­li­kal sind – und Links­evan­ge­li­ka­le oder Pos­t­evan­ge­li­ka­le kom­men erst recht nicht mehr vor. Nicht ein­mal im Bewusst­sein einer deut­schen Öffent­lich­keit, wo man hier­zu­lan­de doch als so gut infor­miert gilt…

Die Stol­per­stei­ne, die sich Evan­ge­li­ka­le selbst in den Weg legen, lie­gen heu­te vor allem in zwei Berei­chen: In der Sexu­al­ethik als Kampf­platz und in der (viel grund­sätz­li­che­ren) Ableh­nung der Post­mo­der­ne. Man möch­te ja mehr­heit­lich den Anschluss an die Moder­ne mit ihrer Musik- und Medi­en­kul­tur usw. Man möch­te ihn bloß nicht, wenn es um Fra­gen sexu­el­ler Ori­en­tie­rung usw. geht. Das wur­de gera­de bei Wil­low Creek schwie­rig, weil Pas­tors eine Toch­ter eine Geschlechts­um­wand­lung zu einem Sohn durch­lau­fen hat, und ein ande­rer pädo­phi­ler Ori­en­tie­rung in der Kin­der­ar­beit mit­mach­te. Das ist ein Grund zum Stol­pern. Dass also es eini­gen From­men zu weit bzw. modern wird.

Der eigent­li­che Punkt liegt aber m.E. dahin­ter: Hier, vor­der­grün­dig, wird dar­über gestrit­ten, wie viel moder­ne denn in einer from­men Welt­sicht Platz habe. – Für mich stellt sich die Fra­ge eher so: War­um soll­te ich davon aus­ge­hen, dass es über­haupt eine Sicht auf die Welt gibt, die sie zutref­fend abbil­det, und nicht viel­mehr vie­le unter­schied­li­che Sich­ten? Kön­nen wir nicht end­lich dahin kom­men, die Welt als Kon­strukt der Beobachter/innen zu sehen, statt als Ding an sich, das so oder anders ist?

Inso­fern wider­spre­che ich Sieg­fried Zim­mer, auch so ein Wort­haus­ler, der meint, dass man­che stets gegen die Post­mo­der­ne kämpf­ten, weil sie nicht ein­mal die Moder­ne woll­ten. In sexu­al­ethi­scher Hin­sicht kann ich ihn ja ver­ste­hen. Aber: In phi­lo­so­phi­scher Hin­sicht geht es m.E. eben heu­te nicht mehr, so zu tun, als hät­ten wir mit der Welt ein Ding an sich, das uns zugäng­lich wäre. Wir müs­sen uns mei­ner Mei­nung nach end­lich dar­auf ein­las­sen, dass wir über die Welt reden, dass wir dabei allein durch die Spra­che bestimm­ten Bedin­gun­gen aus­ge­setzt sind, hin­ter die wir nicht zurück kom­men. – Vor­sich­tig gesagt: Den Lin­gu­i­stic Turn. Und damit den Bruch mit dem wis­sen­schaft­li­chen Realismus.

Die phi­lo­so­phi­schen und über­haupt den­ke­ri­schen Fol­gen kann die­ser Arti­kel kaum wür­di­gen, dazu sei mei­ne Sei­te »Post­mo­der­ne« emp­foh­len. Klar ist aber:

Evangelikal ist in der Klemme

Den einen feh­len die Fun­da­men­te, zu wenig fun­da­men­tal. Den ande­ren geht das alles zu weit, wenn nun nicht ein­mal mehr in Geschlechts­fra­gen klas­si­sche Posi­tio­nen der Belie­big­keit der Zeit­ge­nos­sen gegen­über gestellt wer­den. Evan­ge­li­ka­le, die sich noch so bezeich­nen, wer­den zer­rie­ben. Das ist es auch, das gera­de in der Evan­ge­lisch-metho­dis­ti­schen Kir­che geschieht: Der run­de Tisch hat einen Kom­pro­miss gefun­den, mit dem sich hof­fent­lich leben lässt, denn zum Ster­ben ist es zu viel, zum Leben aber sehr wenig, wie mit einer Qua­dra­tur des Krei­ses glei­cher­ma­ßen sol­che, die gleich­ge­schlecht­li­che Part­ner­schaf­ten für falsch hal­ten, und ande­re, die sie befür­wor­ten, in einer Kir­che mit­ein­an­der leben können.

Letzt­lich geht es auch da um Macht und Deu­tungs­ho­heit über die Welt. – Ich wünsch­te mir eher eine Betrach­tung als unter­schied­li­che Sprach­spie­le, qua­si als mög­li­che Wel­ten im Sin­ne Witt­gen­steins. Wenn wir uns in unse­rem theo­lo­gi­schen Den­ken dar­auf ein­lie­ßen, dass es um Zei­chen­sys­te­me geht, also letzt­lich um intel­li­gen­te Art des Spie­lens, wäre viel gewon­nen. Das bedeu­tet kei­nes­falls, dass alles belie­big oder gleich­gül­tig wür­de, son­dern bloß, dass wir nicht die Welt an sich zur Ver­fü­gung haben. Dass aus Sach­ver­hal­ten kei­ne Sät­ze direkt ableit­bar sind. Und dass wir um die Sät­ze wer­den rin­gen müssen.

Ethik wird damit zu einem ganz ande­ren Feld als es das mög­li­cher­wei­se mit alt­ba­cke­nen Werk­zeu­gen wie »die Ein­heit von Tugend und Glück« (bei Kant) gewe­sen ist. – Aber sie wird kei­nes­falls belie­big. Doch zur Ethik ein ande­res Mal mehr. – Hier geht es ja dar­um, dass Evan­ge­li­ka­lis­mus als Modell zer­rie­ben wird in den letz­ten Jah­ren durch poli­ti­sche Ver­ein­nah­mung einer­seits, durch Öff­nung zur Moder­ne, die ihm auf die Füße fällt, und durch einen Ver­lust an Unter­scheid­bar­keit, wenn er in der Moder­ne aufgeht.