Kaum kann man die Wir­kung des Buch­drucks auf die Refor­ma­ti­on über­schät­zen. Publi­zis­tik und Buch­druck sind gera­de aus den evan­ge­li­schen Kir­chen nicht weg­zu­den­ken. Auch spä­ter: Erwe­ckun­gen sind kaum ohne  Trak­ta­te und Ver­teil­schrif­ten denkbar.

Reformation und Buchdruck

Inso­fern sind seit fünf­hun­dert Jah­ren geschmug­gel­te Bücher ein Weg, das Evan­ge­li­um zu den Men­schen zu brin­gen, ob unter Maria Stuart oder hin­ter den (glück­li­cher­wei­se inzwi­schen gefal­le­nen) eiser­nen Vorhang.

Die Metho­den und die Inhal­te bedin­gen ein­an­der: Christ­li­che Lite­ra­tur, Bücher­ti­sche in Gemein­den und die Ver­teil­schrif­ten und Trak­ta­te sind eine Form. — Die­se Form trägt jedoch stets die Spu­ren der Zeit in sich. Im wis­sen­schaft­li­chen Bereich gab es die gro­ßen Edi­tio­nen: Wei­ma­rer Luther­aus­ga­be, die Samm­lun­gen der Kir­chen­vä­ter bei Mig­ne usw. — Alles Fol­gen des Buch­drucks, ohne die­sen nicht denkbar.

In Emden hat­te ich vor zwei Jah­ren etwas Zeit und so ging ich in den CVJM-Bücher­kel­ler. Dort waren christ­li­che und welt­li­che Bücher aus Spen­den auf­ge­reiht zum Ver­kauf. Gut sor­tiert, als Kin­der­bü­cher, Jugend­bü­cher, Roma­ne und Sach­bü­cher, dar­in je nach The­men sor­tiert. Auch eine Abtei­lung mit christ­li­cher Lite­ra­tur war vor­han­den. Dass sol­che Bücher und Schrif­ten aber ein gewis­ses Ver­falls­da­tum in sich tra­gen, ist kaum zu über­se­hen. Die wenigs­ten Bücher haben über­zeit­li­che Gül­tig­keit und lan­den irgend­wann in der Reclam Uni­ver­sal­bi­blio­thek. Das gilt nicht bloß für die »Arbeits- und Urlaubs­rech­te von 1984«, es gilt auch für Pfar­rer Wil­helm Busch oder »Das Kreuz und die Mes­ser­hel­den«. Klar, man kann so etwas auch heu­te noch lesen, aber es ist doch aus der Zeit und aus der Spra­che gefal­len. So glaubt man nicht, und vor allem spricht man so nicht vom Glau­ben. Gera­de jün­ge­re Leu­te mer­ken das über­aus deut­lich, soll­ten sie so einen Titel in die Hand nehmen.

Internet als Kerninnovation wie seinerzeit der Buchdruck

Das Inter­net hal­te ich für eine Kern­in­no­va­ti­on wie es der Buch­druck vor fünf­hun­dert Jah­ren war: Ent­spre­chend fol­gen neue For­men, neue Inhal­te, neue Metho­den des Erzäh­lens. — Und so wie der Buch­druck die Ver­brei­tung nach­ge­frag­ter Inhal­te oder Gedan­ken dras­tisch beschleu­nig­te und vor allem ver­bil­lig­te (im Ver­gleich zu hand­ge­schrie­be­nen Büchern), so erlaubt für Gemein­den, christ­li­che Grup­pen und Krei­se die Tech­nik neue Wege. Wir kön­nen uns zu einem Haus­kreis tref­fen, und das sogar über Län­der­gren­zen hin­weg per Video­kon­fe­renz. Wir kön­nen Got­tes­diens­te aus unter­schied­li­chen Gemein­den ver­fol­gen, live und fast in Echt­zeit gestreamt oder zeit­ver­setzt als Aufzeichnung.

Der Aus­tausch und die Trans­pa­renz stei­gen, und wie bei allen Medi­en geht es nicht ums Medi­um an sich, wohl aber um die For­men und die Inhal­te unse­rer Kom­mu­ni­ka­ti­on. Denn die For­men bestim­men auch die Inhalte.

Wer den Brief­wech­sel zwi­schen Augus­tin und Hie­ro­ny­mus stu­diert (schon lan­ge her), der oder die kommt nicht umhin, sich mit Epis­to­lo­gie (also der Wis­sen­schaft von Brie­fen) zu befas­sen. Dass bestimm­te Gegen­stän­de immer wie­der den Dia­log prä­gen (lan­ge aus­blei­ben­de Ant­wort etc.), dass Punk­te, die einer ange­spro­chen hat, vom ande­ren unbe­ant­wor­tet blei­ben usw. Die­se durch das Medi­um bestimm­ten Momen­te beför­dern auch die emo­tio­na­le Lage der Kon­ver­sa­ti­on: Die Freu­de über die Ant­wort, die Ent­täu­schung über aus­blei­ben­de Stel­lung­nah­men usw.

Medienübergänge…

Wer aber ver­sucht, einen heu­ti­gen Got­tes­dienst ein­fach so von einem Medi­um (etwa live) direkt in ein ande­res zu über­set­zen, der trägt ein hohes Risi­ko des Schei­terns: Man braucht z.B. zur Ein­stim­mung und für den gro­ßen Sakral­raum eine gewis­sen Ruhe und Lang­sam­keit, allein des Halls und der Raum­akus­tik wegen. — Das aber erschließt sich im Video-Stream auf sehr begrenz­ter Auf­lö­sung eher nicht. Ein »abge­film­ter« Live-Got­tes­dienst (womög­lich mit hal­li­ger Raum­akus­tik) wirkt am Moni­tor völ­lig anders und eher behäbig.

Ein Live-Got­tes­dienst ande­rer­seits kann kaum (ohne hek­tisch zu wir­ken) für Video kon­zi­piert wer­den. — Und: Wo sind die Gemein­den, die alles qua­si dop­pelt oder drei­fach machen kön­nen? So viel Zeit und Mit­ar­bei­ten­de hat ja niemand.

Die Form des Hör­spiels etwa hat sich in der Mit­te des letz­ten Jahr­hun­derts zu einer erstaun­li­chen Höhe des Erzäh­lens ent­wi­ckelt. Ich den­ke an die Radio-Stra­ßen­fe­ger und an Autoren­hör­spie­le wie Hein­rich Bölls »Dr. Mur­kes gesam­mel­tes Schwei­gen«. So erzählt man nicht fürs Thea­ter. Auch nicht für einen Fernsehkrimi.

In der from­men Welt aber ist der­zeit die Wahr­neh­mung des Inter­nets und sei­ner Mög­lich­kei­ten bei vie­len kaum mehr als ein Wer­be- und Ankün­di­gungs­me­di­um. Dies gilt für den deutsch­spra­chi­gen Raum in beson­de­rer Wei­se, weil hier vie­le Gemein­den kaum einem Kon­kur­renz­druck aus­ge­setzt sich sehen. Sie müs­sen also nicht alle Wege zu den Men­schen nut­zen, son­dern geben sich viel­fach damit zufrie­den, die Kräf­te auf den Sonn­tags­got­tes­dienst (oder bei Advents­ge­mein­den den Sab­bat) zu fokussieren.

1 h Gottesdienst, 167 h ohne

Allein: Der Got­tes­dienst füllt eine Stun­de pro Woche aus. — Es blei­ben also 167 Stun­den ohne Got­tes­dienst übrig. Das Pro­blem ist nicht, einen guten Got­tes­dienst von einer Stun­de zu gestal­ten, son­dern es besteht dar­in, dass 167 Stun­den leer bleiben.

Wer heu­te ein Buch bestel­len möch­te, tut das im Inter­net auch um zwei Uhr in der Nacht, wenn man schlaf­los ist. — War­um gibt es dann kein Ange­bot eines Alpha­kur­se oder eines beglei­te­ten Bibel­le­sens? War­um haben wir so weni­ge sol­cher Ange­bo­te in den Inter­net­auf­trit­ten unse­rer Gemein­den? — Mir erscheint es als ein ver­nach­läs­sig­tes Arbeits­feld für Gemein­den und für Nachfolger/innen Chris­ti. Lie­be Lese­rin, lie­ber Leser, den­ken Sie doch ein­mal dar­über nach, ob da nicht dran ist, etwas zu ändern.

Viel­leicht ist es mög­lich, ohne die Prä­senz­got­tes­diens­te zu ver­nach­läs­si­gen oder ver­kom­men zu las­sen, lie­be­vol­le wei­te­re Ange­bo­te, viel­leicht ja auch als »umge­ar­bei­te­te Zweit­ver­wer­tung«, online anzu­bie­ten. — Und bit­te so, dass alles auf mög­lichst allen End­ge­rä­ten, vom Han­dy bis zum hoch­auf­lö­sen­den Moni­tor, glei­cher­ma­ßen gut funktioniert.

In den wis­sen­schaft­li­chen Berei­chen ist es ein Segen, dass ich auf dem Smart­phone den grie­chi­schen und latei­ni­schen Text »mal eben« ver­füg­bar habe. — Und die »Tex­te zur Umwelt des Alten Tes­ta­ments — TUAT« sind glück­li­cher­wei­se als digi­ta­le Edi­ti­on erschie­nen. Auf­sät­ze und For­schungs­er­geb­nis­se sind viel­fach ein­fa­cher, schnel­ler und güns­ti­ger ein­zu­se­hen. Frü­her waren die gedruck­ten Aus­ga­ben so teu­er, dass man nur in Uni-Biblio­the­ken damit arbei­ten konnte.

Evangelisation früher und heute

Frü­her sah Evan­ge­li­sa­ti­on oft so aus, dass man (nach Anmel­dung bei den zustän­di­gen Stel­len) einen Tisch in die Fuß­gän­ger­zo­ne stell­te, eini­ge Bibeln und Ver­teil­schrif­ten aus­leg­te, einen Auf­stel­ler oder zwei mit aus­ge­wo­gen pro­vo­kan­ten Tex­ten oder gar Bil­dern. Dazu vier bis fünf geschul­te Kommunikator/inn/en. — Wenn ich so etwas sehe, schla­ge ich einen Bogen und der­zeit bin ich über mei­ne Mund-Nasen-Mas­ke froh, so sieht nie­mand, wie mei­ne Gesichts­zü­ge entgleisen.

Gut gemeint, aber immer weni­ger pas­send fin­de ich die­se Art und Wei­se, Leu­te mit dem Evan­ge­li­um zu behel­li­gen. Und dabei zugleich kein leicht erreich­ba­res Ange­bot im Inter­net bereit zu hal­ten, eines, dass die Men­schen ernst nimmt und Lust auf mehr macht. — Oder bin ich hier zu kri­tisch? Wün­sche ich mir zu viel?

Ich mei­ne: Die Huma­nis­ten kön­nen das doch auch… — Das kann doch nicht so schwie­rig sein? Und: Bevor wir einen Fach­arzt auf­su­chen bzw. einen Ter­min machen, sehen wir doch auch in die Inter­net-Bewer­tungs-Por­ta­le und bil­den uns ein Urteil. — Wie erwar­ten wir dann, dass die Men­schen »ein­fach so« in unse­re Grup­pen und Got­tes­diens­te kom­men? Kaum vorstellbar.

Statt dass wir uns auf­drän­gen mit unse­rer fro­hen Bot­schaft, die Men­schen beläs­ti­gen (wie Markt­schrei­er in der Ange­bots­öko­no­mie), leben wir in einer Nach­fra­ge-Öko­no­mie. Wir soll­ten unser Ange­bot des Evan­ge­li­ums machen, ohne zu behel­li­gen: Im Inter­net und gut auf­find­bar via Suchmaschinen.