Die Wel­len schla­gen in unse­rer immer mehr unmit­tel­ba­ren Zei­ten mit Bericht­erstat­tung per Twit­ter usw. schnel­ler hoch: Die einen erre­gen sich, die ande­ren auch. Man strei­tet (oft anonym, aber viel­fach auch bekannt) mit­ein­an­der und um so mehr mit den unbe­kann­ten ande­ren. Das erle­ben wir bei allen Kon­flik­ten. Da sind die, die nach jedem Anschlag (und von denen hören wir mehr und schnel­ler, weil ein­fach die Medi­en es erlaub­ten) sofort (zumin­dest) sprach­lich zurück­schla­gen. Das erle­ben wir auch zuneh­mend bei poli­ti­schen Meinungsverschiedenheiten.

In den USA gibt es auf kirch­li­chen Sei­ten schon Bei­trä­ge, wie man mit dem poli­tisch anders den­ken­den Onkel das Thanks­gi­ving-Fest über­ste­hen kann, ohne dass es um poli­ti­sche Grund­satz­fra­gen nur Aus­ein­an­der­set­zun­gen gibt, die das Fami­li­en­fest spren­gen kön­nen. Auch bei uns ver­schärft sich der Ton, dabei wird  mit Schär­fe und Laut­stär­ke kein Argu­ment bes­ser oder über­zeu­gen­der. Nach­dem es nach Pres­se­be­rich­ten einen Sieg für Biden und eine Nie­der­la­ge für Trump gibt, bekom­me ich Bil­der und Film­chen zuge­schickt, Trump ein­ge­mau­ert, Text: Mexi­ko bezahlt nun doch die Mau­er. Über eine ande­re Kul­tur des Umgangs freue ich mich sehr. Aber: So möch­te ich nicht über Herrn Trump reden oder den­ken. Dafür bleibt er in aller Ver­schie­den­heit von mei­nem Wunsch­bild doch Eben­bild Gottes.

Wenn ich an die Aus­ein­an­der­set­zun­gen über gleich­ge­schlecht­li­che Part­ner­schaf­ten den­ke, und dar­um, ob die Ehen sein sol­len oder dür­fen, wenn ich an die Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Befürworter/inne/n und Ableh­nen­den der Coro­na-Maß­nah­men geht: Immer wie­der stel­len wir fest: Die schnel­le­re Kom­mu­ni­ka­ti­on ver­schärft die Kon­flik­te und führt zu weni­ger Über­le­gen vor einer »Ant­wort«, die oft eher »Gegen­schlag« ist.

Man kann Beden­ken haben gegen das moder­ne Impf­we­sen, man kann die Ein­schrän­kun­gen bestimm­ter Frei­hei­ten für über­zo­gen hal­ten. Man soll­te nicht pau­schal alle, die der­ar­ti­ge Gedan­ken hegen, in eine poli­tisch rech­te Ecke drän­gen, bloß weil man­che poli­tisch Rech­te alles mit­ma­chen, was anders ist als das Bestehende.

Wir brau­chen ein neu­es Mit­ein­an­der, eines, das ver­söhnt, das den Streit um die Sache und das Rin­gen danach, was passt, trennt von einem immer per­sön­li­che­ren Kon­flikt, der oft die Per­son trifft. Die­se feh­len­de Tren­nung im Den­ken ist es, was mich auch theo­lo­gisch abstößt. Da wird die Sün­de mit dem Sün­der gleich­ge­setzt. Selbst­ver­ständ­lich ist es gut, die Sün­de abzu­leh­nen. Aber: Wenn das alle immer so gemacht hät­ten, dann gäbe es kei­ne Men­schen. Dann hät­te es für jede und jeden ein­zel­nen eine per­sön­li­che Sint­flut gebraucht. Anders gesagt: Feh­ler machen wir alle. – Und (etwa in der Jugend­ar­beit in der Gemein­de) bemü­he ich mich, das Trotz­dem zu beto­nen. Obwohl wir alle so unmög­li­che und bis­wei­len uner­träg­li­che Leu­te sind, haben wir auch etwas Wun­der­ba­res, etwas von der Eben­bild­lich­keit Gottes.

Die Ableh­nung der Sün­de und die Lie­be zum Sün­der sind ein Wesens­merk­mal Got­tes. Soll­te es bei uns dann nicht ähn­lich sein? Ich wün­sche mir Fami­li­en und Gemein­den, in denen wir nicht immer einer Mei­nung sein müs­sen, die aber die je ande­re Mei­nung anhö­ren, beden­ken. Gemein­den, die das schaf­fen, kön­nen sich anpas­sen und haben eine Zukunft.

Wenn es anders läuft, dann gibt es eine fest­ge­schrie­be­ne Gemein­de­kul­tur. Wenn die Men­schen sich abwen­den, dann liegt das natür­lich an denen, denn die Art zu leben und zu glau­ben wird kei­nes­falls in Fra­ge gestellt. – In Fami­li­en muss sich etwas ändern, wenn sie älter wer­den. Anfangs ent­schei­den die Eltern und das muss so sein. Immer mehr las­sen sie die Kin­der eige­ne Ent­schei­dun­gen tref­fen. Dabei pas­sie­ren auch Feh­ler. – Natür­lich! Irgend­wann brau­chen die Eltern die Kin­der, weil sie nicht mehr alles kön­nen oder ver­ste­hen. Bezie­hung, die gut ist, ist und bleibt fle­xi­bel. Ach­tet den anderen.

Wie ist das bei unse­rem Got­tes­bild? Haben wir unse­re 12 oder 42 Glau­bens­sät­ze, und das ist dann Gott? Gott ist grö­ßer, davon bin ich über­zeugt. Er ist mit David im Gespräch geblie­ben, einem Ehe­bre­cher und Mör­der. – War­um soll­te er dann nicht auch den lie­ben, den ich nicht ver­ste­he? Der ganz anders tickt als ich?

Wenn es in den USA einen Riss zwi­schen Repu­bli­ka­nern und Demo­kra­ten durch die Fami­li­en gibt, und Thanks­gi­ving in Gefahr ist, so ist es bei uns das Mit­ein­an­der von Coro­na-Ängst­li­chen und Coro­na-Maß­nah­men-Ableh­nen­den. Auch hier braucht es viel Lie­be zu den je ande­ren Men­schen. Denn die­se Kon­flik­te gehen gera­de ähn­lich durch Gemein­den wie vor eini­ger Zeit die Kon­flik­te zum Umgang mit (gleich­ge­schlecht­li­chen) Partnerschaften.

Das Leben ist und bleibt schwie­rig. Die bes­te Mög­lich­keit, die ich sehe, ist: Anders zu leben als die meis­ten, die sich in ihren eige­nen Posi­tio­nen ein­igeln und mit einer Wol­ke der­je­ni­gen umge­ben, die alles genau so sehen, wie man selbst. – Wenn das die Jün­ger gemacht hät­ten, dann wären sie nie zu Apos­teln gewor­den. Sie wären eine klei­ne Spe­zi­al­grup­pe im anti­ken Juden­tum geblie­ben. Wahr­schein­lich aus­ge­stor­ben. – Das Risi­ko besteht auch bei Gemein­den und Kir­chen, die mei­nen, dass ihre eige­nen Vor­stel­lun­gen das (ein­zig) mög­li­che, zutref­fen­de Bild von Gott und Mensch sei, und dass des­halb alle ande­ren Sich­ten falsch sein müssen.

So ein­fach ist das lei­der nicht. Schon gar nicht in mehr­deu­ti­gen Zei­ten. – Die­ser Bei­trag bezieht sich auch auf den letz­ten (Umpar­ken im Kopf…), den ich als Pre­digt am ver­gan­ge­nen Sonn­tag gehal­ten habe.