In der ARTE-Mediathek sah ich einige Teile einer Dokumentation über die US-amerikanische Prohibition. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dort sehr viel getrunken, was für Familien, insbesondere für die Frauen und Kinder teils unerträgliche Zustände bedeutete.Siehe auch hier.
Das Leben war hart, da war die Flucht in den Saloon willkommen. Die Brauereien eröffneten viele dieser »Lasterhöhlen«, die für den Staat wegen der Steuereinnahmen unverzichtbar waren. Eine Einkommenssteuer gab es bis dato dort nicht. Erst hatten sich Selbsthilfegruppen gegründet, wobei Alkoholiker einander versprachen, keinen Alkohol mehr zu trinken. Einige christliche Ansätze schuf die Temperenzler-Bewegung: Keine Branntweingetränke, immerhin. Außerdem sollte Mäßigung gelebt werden. Das alles fruchtete aber einige Zeit lang bloß mäßig und allenfalls lokal.
Von 1913 bis 1919 wurde die Frage des Alkoholkonsums sehr forciert, teils mit der Erwartung, dass ein Verfassungszusatz, der in den gesamten USA den Ausschank und Konsum von Alkohol verbieten sollten, gleichsam den Himmel auf Erden schaffen würde.
Für mich ist das ein Hinweis, wie leicht man dem Irrglauben aufsitzen kann, dass es so etwas wie einen archimedischen Punkt gäbe, dass. wenn bloß dieses Problem gelöst würde, alles gut sei. — Ist es nur leider nicht.
Jesus und der Alkohol…
So bedenkenswert die sozialen Fragen des Alkoholmissbrauchs sind: Nach der Hochzeit zu Kana wäre Jesus wahrscheinlich festgenommen worden, zumindest während der Prohibition. Herstellen und In-Verkehr-Bringen alkoholischer Getränke, das waren Verbrechen.
Jesus feiert Abendmahl, Wein (ob mit Wasser oder pur) war zu damaliger Zeit ein verbreitetes Getränk. Nun kann man sich fragen, ob daraus folgt, dass wir hier und heute auch alkoholische Getränke zu uns nehmen müssen oder sollen. Nein, das müssen wir nicht. Wer es aber möchte, dem ist es nicht untersagt. Vor allem sehe ich das grundsätzliche Problem darin, dass aus dem umfassenden Thema der Heiligung und Nachfolge von den Temperenzlern ein moralisches Gesetz gemacht wurde.
Von Anreizen und Abschreckung…
Selbst dann, wenn das Bild, das die Apostelgeschichte von den frühen Christenmenschen zeichnet, idealisiert sein sollte, bleibt: Es wurden mehr unter äußeren Bedingungen, die das nicht erwarten lassen. Es muss also so etwas wie positive Anreize gegeben haben, die anderen auffielen, wenn sie mit den frühen Christen in Jerusalem oder Antiochia usw. zu tun bekamen.
Grundsätzlich halte ich positive Vorbilder, überzeugendes Christenleben für deutlich attraktiver, weil es andere intrinsisch motivieren kann, dem nachzueifern. Wenn jemand etwas sieht und es beeindruckt ihn oder sie, dann eifert er oder sie möglicherweise dem nach. Das erleben wir auch in anderen Bereichen: Immer wieder einmal habe ich Menschen um mich gehabt, die z.B. von meiner Art zu photographieren so angesprochen waren, dass sie begannen sich für Photographie zu interessieren, für Gestaltung und Tonwerte. Dabei ist das Ziel jeweils das »Feine Bild«, wie es Ansel Adams nannte. Die Idee vom Bild ist eben kein »bloßes« Abbild, sondern eine Interpretation mit photographischen Mitteln. Erst als »Partitur« in Form des Negativs bzw. der RAW-Datei, anschließend wird dann im Vergrößerungsprozess (wenn analog verarbeitet) bzw. in der Nachbearbeitung am Computer dieses Negativ zu einer Aufführung der Partitur.
Abschreckung ist umgekehrt etwas, das von außen mit Nachteilen droht. Dem versucht man sich weitestgehend zu entziehen, sucht, eben genau so viel wie nötig einzuhalten oder zu beachten, um eben keine Nachteile, keine Strafe, … zu befürchten.
Manche Drohpredigten im Alten Testament durch die Propheten kann man so lesen. Die Intention war, das Volk oder den König zur Umkehr zu rufen. Bestenfalls passierte (etwas) weniger Übervorteilung der Armen usw. Zur Umkehr aber kam es kaum.
Jesus-Nachfolge ist an sich ein positives Vorbild,
wie Leben in der Nähe zu Gott gelingen kann. Jesus musste den Jüngern nicht mit Strafe drohen, wenn die Jünger weiter Fischer oder Zöllner geblieben wären. Sie wollen ihm nachfolgen. Niemand muss sie überreden, sie werden aufgefordert und sie folgen ihm nach. Ähnlich klingt es bei vielen neutestamentlichen Berichten, wie Menschen dazu kamen: Der Kämmerer aus Äthiopien lässt sich das Buch Jesaja erklären, und als er es verstanden hat, was Gottes Plan mit Jesus als ist, da findet er es angemessen, sich taufen zu lassen. Usw.
Begeisterung heute?
Wenn heute das Wachstum hierzulande eher negativ ausfällt, kann das unterschiedliche Ursachen haben. Das »religiöse Apriori« mag verloren gegangen sein. Oder wir haben zu viel mit unseren eigenen Sorgen zu Nöten zu tun, um nach dem großen Ganzen zu fragen. Vielleicht sind wir auch als westeuropäische Gesellschaften so aufgeklärt, dass in unserem Denken von der Welt weder eine Notwendigkeit noch Platz für Gott bleibt.
Möglicherweise ist aber ein weiterer Faktor zu berücksichtigen: Wo gibt es begeisterte Christenmenschen, und zwar solche, die nicht vom Fußball oder von der Fine-Art Photographie begeistert sind, sondern vom Evangelium? Solche, die uns und andere so faszinieren, dass wir auch so leben und glauben möchten…
In seinem 1976 erschienenen Buch »Gottesvergiftung« schildert Psychoanalytiker Tilmann Moser, wie sein kindliches Gemüt durch eine Art »Über-Ich«-Gott gequält wurde, der immer aufpasste, wenn die Eltern nicht da waren. Der Mensch wird in die Angst und Demut gedrängt, ja, als Person weitgehend zerstört. Das Buch beginnt mit dem Satz: »Freut euch, wenn euer Gott freundlicher war.«
So ein Gottesbild ist bloß abstoßend, und ich kann nicht allein verstehen, dass sich Moser von diesem Gott lossagt, sondern es ist unumgänglich, dass alle, die solche Bilder eingeimpft bekommen, womöglich von wohlmeinenden Eltern, von diesem Bild befreien. Dafür geht es bei Gott und der Beziehung, dem Glauben, um viel zu viel.
Tun und Unterlassen…
Tu dies, lass jenes. — Das ist möglicherweise ein Teil des gelebten Glaubens. Tun und Unterlassen sind ethisch-moralische Handlungen, die wir (je nachdem, wie weitgehend wir unsere Freiheit einschätzen) in unseren Händen haben. Wenn wir also aufgefordert werden, keine Ehe zu brechen, ist klar, was das heißt. Wenn es uns unklar ist, dann lesen wir es im CIC nach oder im Katechismus.
Streiten können wir darüber, was jeweils konkret gemeint ist. Ob etwa das begehrliche Blicken an sich schon dem Ehebruch gleichzusetzen ist. — Wenn ja, dann wäre Origenes eher verständlich. Liebe Leserin, lieber Leser, wir merken: Wir denken drüber nach, wenn wir solche Vorschriften lesen, was jeweils noch gerade möglich ist, noch gerade erlaubt, wenn es um ein Verbot geht bzw. umgekehrt: Wenn es sich um ein Gebot handelt (Du sollst Vater und Mutter ehren), was dann evtl. nicht nötig ist.
Tun und Unterlassen lassen sich relativ einfach anordnen bzw. vermitteln im Unterricht oder in einer Predigt. Allein: Sie gehen leider völlig am Ziel vorbei, wenn das Verständnis bleibt, dass Christen sind, die Gebote und göttliche bzw. heilige Gesetze befolgen.
Nachfolge als Beziehung funktioniert anders…
Nachfolge bedeutet ja, dass ich von jemandem berufen werde, mich darauf einlasse, diesem Ruf zu folgen. Ich möchte nicht mehr eigene Ziele verfolgen, sondern die Ziele werden zu den meinen, die der »Rabbi« vorgibt. Dabei geht es um die Beziehung zu Gott, denn das ist der Grund, der die Nachfolge überhaupt attraktiv und »denkbar« für mich macht.
Jesus-Nachfolge ist keine Sache von Fans, sondern ist eine Art der neugestalteten Nähe zu Gott, in die die Nachfolgerinnen und Nachfolger einsteigen. Dass sie dabei sich bemühen, das zu lassen, was Gott stört, und das zu tun, was ihn freut: Geschenkt. Das ist in jeder Beziehung selbstverständlich. Wer eine Ehe führt nimmt auch Rücksichten auf die Partnerin oder den Partner, wer in einer Wohngemeinschaft lebt, wird auch das lassen, was andere stört.
Nachfolge bedeutet, miteinander im Gespräch zu bleiben. Die Beziehung zu gestalten. Vor allem geht es um eine Verständigung darüber, was die Ziele sind, die ich verfolge. Sind das die Ziele, die Gott mit mir hat? Beziehung ist viel mehr und teils etwas völlig verschiedenes von Tun und Unterlassen, wenngleich das teils dazu gehört.
Beziehung ist etwas, das mich erfüllt und bereichert, das mein Leben aufwertet. Und damit ist mein Bild von Nachfolge ganz anders als das, was Tilmann Moser in seiner »Gottesvergiftung« beschreibt. — Immerhin hat er ja 2013 einen Fortsetzungsband veröffentlicht, der darüber hinausgeht, was er 1976 schrieb.
Erfüllende Beziehung macht glücklich und ist attraktiv…
Meine These ist, dass Menschen, die Nachfolge leben, etwas von ihrem Glück und ihrer Erfülltheit ausstrahlen (sollten). Wenn wir vor Nöten der Gemeinde (in Corona-Zeiten oder im Allgemeinen) eher Sorgen und Ängste im Gesicht tragen, dann haben wir einen Teil des Evangeliums nicht verstanden. Nämlich den, dass alles an Gottes Geist gelegen ist. — Ja, wir dürfen und sollen mitbauen am Reich Gottes. — Aber eben nicht ohne den Geist Gottes. Nicht aus eigener Kraft, denn dann wäre unsere Kraft erschöpft und nicht viel erreicht.
Gemeinden, die so leben, Christen, die so leben, dass man ihnen ihre Erfüllung durch Gott abspürt, die sind auch für andere einladend. Das ist dann nicht einmal anstrengend, sondern natürlich, denn die Dinge, die Menschen, die uns am Herzen liegen, über die sprechen wir gerne und so, dass sie für andere so attraktiv wie möglich werden.
Wenn ich das Stichwort der geistlichen Gemeindeerneuerung höre, dann denke ich zunächst in dieser Richtung. Alles andere, Sprachengebet usw., ist mir sekundär oder noch viel weiter hinten in der Ordnung. Zunächst mal ist es mein Herz und mein Geist, an denen Gott Veränderungen bewirkt. — Gott sei Dank.
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