Als »modern« möch­ten vie­le Gemein­den wahr­ge­nom­men wer­den. Doch das ist bloß äußer­lich. Moni­to­re statt Schau­kas­ten, Bea­mer statt Gesang­buch, ein ani­mier­ter Inter­net­auf­tritt, alles in Bewe­gung. Musik muss aktu­ell sein, also nicht aus den 1990er Jah­ren. Alles älter als zwei oder drei Jah­re ist, das gilt als altbacken.

Der Pre­di­ger kann nicht auf der Kan­zel ste­hen, das ist ja so kon­ven­tio­nell… Statt des­sen ein Head­set, hin-und-her lau­fend wie ein Mode­ra­tor, evtl. ein Steh­tisch­chen für die Mode­ra­ti­ons­kar­ten (gera­de noch akzep­ta­bel) oder fürs iPad (bes­ser).

Die Band spielt mit in-Ohr-Moni­to­ren, so sind alle syn­chron, denn in den Ohren aller läuft der sel­be Klick-Track, mit Count-Down zum ers­ten Lied, mit Hin­weis auf die Sekun­den fürs Gebet vor dem zwei­ten… Ohne Moni­tor­laut­spre­cher sieht die »Büh­ne« auch viel auf­ge­räum­ter aus.

Das Pro­blem bei allem Stre­ben um Moder­ni­tät ist, dass hin­ter der moder­nen Fas­sa­de und den neu­en For­men — bis hin zur Typo­gra­phie — eine tra­di­tio­nel­le Theo­lo­gie betrie­ben wird. Nur äußerst behut­sam wur­de hier moder­ni­siert. Neben­bei: Auch eher an den Rän­dern: Leich­te Front­be­rei­ni­gun­gen gibt es bis­wei­len bei der Ein­schät­zung etwa des Tan­zens (frü­her fast aus­schließ­lich ableh­nend, inzwi­schen wird aner­kannt, dass David vor der Bun­des­la­de tanz­te, also kann dar­stel­len­der Tanz nicht ganz ver­kehrt sein…) bei der Ein­schät­zung der ver­än­der­ten Funk­ti­on von Frau­en (auch lei­ten­de Auf­ga­ben wer­den eher akzep­tiert, ob aber unbe­dingt Lehr­äm­ter mit Frau­en besetzt wer­den müssen?)

Ganz wenig hat sich in den meis­ten Gemein­den getan bei der Satis­fak­ti­ons­leh­re — hier fol­gen die meis­ten (ganz klas­sisch und wider neue­re Exege­se, aber auch wider Bern­hard v. Clairvaux) dem Anselm v. Can­ter­bu­ry. Die Ant­wor­ten auf die prak­ti­schen Fra­gen, die (auch from­me) Men­schen heu­te haben, sind mehr­heit­lich viel weni­ger aktu­ell als die jewei­li­ge Ver­an­stal­tungs­tech­nik, und das liegt nicht dar­an, dass man sagen kön­ne, dass es seit 450 Jah­ren kei­nen theo­lo­gi­schen Fort­schritt gege­ben habe. Allein: Den nimmt man nicht zur Kennt­nis oder erach­tet ihn als abwe­gig. — Give me that old-time reli­gi­on, so heißt es im Gos­pel­song. — Als Begrün­dung heißt es jeweils in den letz­ten Ver­sen der Stro­phen: It is good enough for me. War­um nur gilt das nicht bei der Got­tes­dienst­form, Musik, Wer­bung oder Veranstaltungstechnik?

Wenn es so ist, dann gäbe es hin­rei­chend Mög­lich­kei­ten, nicht bloß an der klas­si­schen Reli­gio­si­tät fest­zu­hal­ten, son­dern eben auch die Luthe­ri­sche Mes­se in his­to­risch-ori­en­tier­ter Auf­füh­rung zu fei­ern — oder gleich eine schwei­gen­de Andacht im Sti­le der Quä­ker.

Die Fra­gen, die sich heu­te stel­len, und bei denen Men­schen nach Ant­wor­ten (auch durch die Gemein­den) suchen sind bei­spiels­wei­se (und kei­nes­falls exklusiv):

  • Wie gehen wir mit Schei­tern und Ver­sa­gen um?
  • Wel­ches Bild von Fami­lie passt? Wie kann, darf oder soll die Arbeit ver­teilt werden?
  • Wie ver­ste­hen wir erfah­re­nes Leid (Ver­lust von Partner/in oder Kind…)?

Selbst dann, wenn die Ant­wor­ten ehr­li­ches Nicht­wis­sen sind, ist dies bes­ser als eine theo­lo­gi­sche Instant­sup­pe aus der Leib­niz-Theo­di­zee (vgl. hier den lesens­wer­ten Teil zur unfer­ti­gen Schöp­fung mit Bezug zu Klaus Ber­ger). Mehr und mehr Men­schen fra­gen auch danach, ob die Kir­che oder wir als ein­zel­ne Chris­ten­men­schen sich so weit­ge­hend aus unse­rem Gemein­we­sen her­aus­hal­ten kön­nen. Ob es nicht viel­mehr geist­lich gebo­ten ist, (viel) mehr zu machen als an einem »Marsch für das Leben« teil­zu­neh­men… Wenn wir es mit ver­erb­ter Armut zu tun haben, mit zuneh­men­den Ungleich­hei­ten bei den Bil­dungs­chan­cen und wach­sen­der Bevor­mun­dung durch Über­wa­chung und Spei­che­rung der Daten aller.

Fast noch mehr als in ande­ren Berei­chen unse­rer zeit­ge­nös­si­schen Kul­tur zeigt sich bei den Ange­bo­ten bewusst moder­ner Gemein­den, dass mit der Regel gebro­chen wird, dass die For­men den Inhal­ten und deren Erfor­der­nis­sen fol­gen müss­ten. Der tech­ni­sche Fort­schritt ist gewal­tig. Alles ande­re ist weit­ge­hend wie gehabt. — Allein: Die Men­schen, ja auch die from­men, mer­ken das doch: Dass die tra­di­tio­nel­len Ant­wor­ten viel­fach nicht pas­sen bzw. eben­so »rich­tig« sind wie nicht hilf­reich. — Und sie wen­den sich — ver­ständ­li­cher­wei­se — ab. Lei­der auch von Gemein­den, die sich um »den letz­ten Schrei« bemühen.

Wie bei der Klei­dung set­zen mehr und mehr Men­schen auf einen nach­hal­ti­gen Mini­ma­lis­mus: Man braucht nicht viel, aber das, was man braucht, muss pas­sen, nach­hal­tig und lang­le­big sein. Das gilt für den Glau­ben, die Klei­dung, die Woh­nung und eben auch für äuße­re Formen.

Wann wer­den die moder­nen Gemein­den das merken?