Wir haben die Zeit der starken Persönlichkeiten. Nicht nur in der Politik, auch in Gemeinden. Viele erwarten vom Pastor oder der Pastorin, dass die es richten müssen. In der Politik begegnen uns die starken Typen: In den USA, in der Türkei und anderswo. Kästner dichtete im »Führerproblem genetisch betrachtet«: »Du hast vergessen, uns Führer zu erschaffen…« und später heißt es: »Und alles, was seither geschah, ist ohne diesen Hinweis nicht zu fassen.«
Dass Pastoren ihre Arbeit machen, das allein genügt nicht. Sie müssen selber nicht allein Animateur und Manager sein, sondern darüber hinaus eine Art Heilsgestalt, Sinngeber und Trainer für alle. Jedoch: Das kann nicht funktionieren, dennoch ist die Erwartung diese.
Gerade in der freikirchlichen Landschaft ist der Vergleich mit anderen schnell zur Hand: Pastorin X oder Pastor Y aus der Gemeinde Z, die machen es anders, schöner, besser. Sie lösen Begeisterung bei den Jugendlichen aus, Bekehrung im Stadtteil oder anderes.
In Zeiten des Schrumpfens einiger Gemeinden ist der Untergang des christlichen Abendlandes manchen unmittelbar vor Augen. Wenn unsere Gemeinde nicht mehr dies oder jenes machen kann… Dann (und so wird es nicht gesagt, ist es aber manchmal gedacht) sind wir enttäuscht, weil Gott anderes möchte als ich oder als wir (als Gemeindeleitung, Seniorenkreis usw.)
Zwei neuere Gedanken zum Thema:
Stichwort: Reich Gottes als Nullsummen-Spiel
Wenn wir mehr auf die einzelnen Christenmenschen schauen und weniger auf die Gemeinden, dann schadet es nicht, wenn eine Gemeinde nicht mehr besteht. Eine andere tritt an ihre Stelle. Die Christenmenschen werden deshalb ja nicht Heiden. Sie organisieren sich anders, und das kann viele positive Effekte haben.
Manche Glaubensmodelle werden lange fortgeschrieben, bis sie für kaum jemanden mehr passen. Da hilft eine Marktbereinigung. Wenn dein Pferd tot ist, steig ab. – Altes Cowboy-Sprichwort.
Aus der Sicht einer Gemeindeleitung ist es unerfreulich, wenn sich die eigene Gemeinde nicht bewährt. Für den Bau des Reiches Gottes aber kann das sogar geboten sein.
Das ist ein Gedanke, der mir vor etlichen Jahren im Catalyst-Network, einem us-amerikanischen Netz von Gemeindeentwicklern aus dem Adventismus hervorgegangen begegnete, dort gibt es ein Konzeptpapier »the pivotal design«, und das besagt: Es gibt eine kulturelle Höhe der Zeit (in den Ingenieurwissenschaften, aber eben auch in den Gemeinden), und wer nicht auf der Höhe der Zeit bleibt, der wird von anderen »Marktteilnehmern« oder Mitbewerbern überholt. Doppeldecker waren mal die angesagte Lösung für den Menschheitswunsch zu fliegen. – Aus guten Gründen sind das heute nicht mehr die Konstruktionen auf der Höhe der Zeit.
Dort wird deutlich gesagt, dass jedes Gemeindemodell eine Art inneren Verfallsdatum eingebaut bekommen habe. Entweder passe man kontinuierlich an, oder es gilt, bei Zeiten die Gemeinde oder Gemeindefamilie aufzulösen bzw. etwas Neues zu beginnen.
Der Gedanke auch dort ist: Christenmenschen gehen nicht verloren, weil sie die Gemeinde wechseln. Wir benutzen ja auch nicht den PC aus dem Jahr 1995, sondern nutzen ein mehr oder weniger aktuelles Modell, das im Augenblick des Kaufes wiederum veraltet ist. Es wird uns eine Zeit lang gute Dienste leisten.
Das verstehe ich unter dem Nullsummen-Spiel fürs Reich Gottes.
Die Frage ist nicht, ob wir anderswo Christenmenschen abwerben. Das mag für die Einnahmen und die Mitarbeitenden in einer Gemeinde interessant sein. Aber: Die Kernkennzahl ist: Gelingt es, dass Nicht-Christen in einer Gemeinde zum Glauben kommen. Gelingt es, dass junge Leute zu einem eigenen Glauben in einer gemeindlichen Arbeit finden? Wenn nicht, dann ist die jeweilige Gemeinde nicht automatisch überflüssig. Sie mag Gott und den Menschen zum Nutzen und Frommen dienen. Aber: Sie verpasst, wozu die Jünger beauftragt sind.
Der zweite Gedanke:
Alphatiere…
Gemeinden sind oft homöopathisch: Gleich und gleich gesellt sich gern. Dort, wo es ermutigende und herausfordernde Gemeindeleitungen gibt, die andere machen lassen, dort bringen sich meist entsprechende aktive Mitarbeitende gerne ein. Die haben kein Problem damit, dass sie ehrenamtlich sind. Sie machen gute Arbeit. Aber: Sie können sich ja aussuchen, wo sie die einbringen.
Sie haben keine Lust, sich mit langwierigen Sitzungen, Grundsatzfragen und einer Verhinderungskultur aufzuhalten und abzuarbeiten. Sie wollen die Musik- und Medientechnik nicht allein bedienen, sondern verbessern. Es geht darum, dass es vorangeht. Kontinuierlich. Denn Stillstand bedeutet, dass andere (Gemeinden) vorangehen. Wir aber nicht.
Das gilt für Bandleitende, für unterschiedliche Team-Leitungen. Auch dort, wo es eher leitungsfreie Modelle gibt, ist klar:
Zufriedengeben mit dem status quo, das geht nicht! Wenn wir aufmerksam hinsehen, dann geht es immer besser.
Das gilt etwa auch für die Predigten, deren Verbreitung via Internet usw. Es gilt für die mediale Gestaltung. Für die Kinderkirche und alles andere. Klar: Grenzen sind überall da, aber: Ein gesundes Wachstum ist zunächst eine Frage des Wollens und erst in zweiter Hinsicht eine Frage des Budgets, der Mitarbeitenden usw.
Es trifft aber auch zu, dass da, wo eine Bequemlichkeits-Kultur sich breit macht, diejenigen, die weiter wollen, bald aussteigen, denn an Baustellen (zumal für ehrenamtlich Mitarbeitende) mangelt es nicht. Wenn also der Leiter des Tontechnik-Teams meint, dass 08/15-Mix doch ausreiche, dann sind die, die mehr wollen, schnell weg.
Anders gesagt: Eine Gemeinde, die sich einrichtet, die sich selbst genügt, die kann ein bis zwei Generationen lang so weitermachen. Sie wird aber für die, die mehr wollen, zunehmend weniger attraktiv. Dieser Effekt verstärkt sich. Und umgekehrt ebenso: Da, wo viele mehr möchten, sich über ihre Visionen verständigen, da werden solche angesprochen, die mehr wollen, die viel Einsatz zu bringen bereit sind, wenn sich abzeichnet, dass etwas bewegt werden kann.
Hier komme ich zurück auf meinen Gedanken vom Nullsummen-Spiel: Auf der Höhe der Zeit sind solche Gemeinden längst nicht mehr. Das schadet an sich nicht. Es wird aber zunehmend schwieriger, Menschen aus der jüngeren Generation und solche aus der populären Kultur zu erreichen, wenn man lieber Gottesdienste oder Bibelstunde in historischer Aufführungspraxis zelebriert.
Für die, die dazu gehören, ändert sich nichts. Wie bequem. Für andere wird die Schwelle immer größer, dazu zu kommen.
Wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15,11ff) liegt die Ursache dafür, dass jüngere weglaufen und schließlich unter die Schweine fallen, vermutlich da, dass allenthalben die älteren Brüder am Drücker sind. In der Politik, in der Kirche und auf dem Landgut der Familie des verlorenen Sohnes.
Nun bräuchte der Text einen schlüssigen Schluss. Eine schlüssige Conclusio. – Wenn wir den Missionsbefehl (Mt.28,19) ernst nehmen und ökumenisch denken, dann kann es geboten sein, über eine Auflösung einiger Gemeinden, auch der eigenen, zugunsten des Reiches Gottes nachzudenken. Und es kann um der Menschen willen nie passen, dass wir uns selbst genügen, solange und insofern es noch Heiden gibt, die wir nicht erreichen.
Sicher liegt das nicht nur und vielleicht zum kleinsten Teil an uns. Es gibt verstockte und verbockte Menschen. – Bloß leider auch unter Christenmenschen, dem Herrn der Kirche sei’s geklagt. Ein Wunsch muss es sein, dass wir als Kirchen und Gemeinden und auch als einzelne Christinnen und Christen Gott und den Menschen dienen. – Und nicht unserer eigenen Bequemlichkeit. Ein: »Das haben wir schon immer so gemacht!« oder »Das haben wir noch nie so gemacht!« sind eben keine Argumente. Es ist ein Ausdruck der Selbstzufriedenheit und Bequemlichkeit, und das spürt die Welt.
So war Jesu Predigt nicht. So ist meines Erachtens eine vom Geist inspirierte Gemeinde nicht. Wenn gilt, dass Kirche dort ist, wo der Geist Gottes ist, dann sollten wir geistlicher werden. Das kann für einige Gemeinden eine neue Öffnung hin zu Gott, ein erneutes und erneuertes Streben nach Heiligung bedeuten. Für andere kann es eine Öffnung zur Welt bedeuten, die so noch nie da war. Was jeweils dran ist, ist jedenfalls nicht Dienst nach Vorschrift und Schema f. – Vielmehr braucht es geistliche Gemeinde-Erneuerung, die weit über Sprachengebet und geistliche Krankenheilung hinausgeht. Das sind Äußerlichkeiten. Wir brauchen eine geistliche Erneuerung an Haupt und Gliedern, eine geistliche Reformation, die nach Gott fragt und nach den (bisher unerreichten) Menschen. Und dies, ohne die Alteingesessenen vor den Kopf zu stoßen. Erneuerung, die mitnimmt, das braucht es.
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