In diesem Blogbeitrag geht es um den Unterschied zwischen der Zielgruppe dieses Blogs und dem, was viele als Fresh Expressions (of Faith) bezeichnen. Es sind teils fast gegenteilige Konzepte, wenngleich die Beobachtungen, von denen alles ausgeht, ähnlich sind.
Fresh Expressions – voll im Trend
Fresh Expressions, die neuen Ausdrucksformen des Glaubens, sind in vielen Kreisen und Gemeinden ein großes Thema. Stets beginnt alles mit der Einsicht, dass viele nicht erreicht werden (können) durch die bisherigen Angebote von Gemeinden. Das passt nicht zu deren Leben und deren Formen.
Wenn Gemeinden so weit kommen, ist das eine ganze Menge. Viele nämlich geben sich zufrieden mit dem, was sie haben, mit den Menschen, den Formen usw. Das werden oft weniger, man nimmt es zur Kenntnis, Menschen können nicht mehr so, sie werden älter. Dass aber jüngere fehlen, das merken viele nicht. Oder sie merken es, sehen aber keinen Ansatzpunkt, an dem sie das ändern könnten.
Zu den jüngeren und deren Lebenswelt haben sie keine Verbindungen, die älteren Brüder, die am Drücker sind – und die hatten ja bereits in Lukas 15 kein Verständnis für den anderen Lebensentwurf des jüngeren Bruders.
Fresh Expressions versuchen nun hinzugehen, dahin, wo die Menschen sind. Im Café, ein Kinderangebot im sozialen Brennpunkt, einen Freiraum zu schaffen. Aufsuchend statt einladend – schließlich heißt es in Matthäus 28, dem so genannten Missionsbefehl nicht: Ladet sie ein, zu euch zu kommen und alles so zu machen wie immer. Nein: Gehet hin.
Seit Jahren verfolge ich die Bewegung der Fresh Expressions und stelle – mit vielen anderen – fest:
- Ja, viele der Projekte dienen bestimmten Menschen.
- Nein, die Projekte sind kein Gemeindewachstums-Prozess, weil die Menschen, die erreicht werden, auch anschließend meist nicht in Gemeinden passen, denn Gemeinden bleiben ja meist beharrlich wie gehabt.
- Ja, oft hängt es sehr an einzelnen Mitarbeitenden, an deren Art, deren Blick für Menschen um sie. Projekte haben nach dem Ausscheiden der oder wichtiger Gründungspersonen ein hohes Risiko zu scheitern. Oft sind Fresh Expressions vor allem Beziehungsarbeit.
Anders gesagt: Als Gemeinden und Kirchen können (und vielleicht sollen) wir diese Arbeit machen. Wer sich aber erhofft, damit die Mitgliederstatistik aufhübschen zu können und binnen sechs oder acht Jahren neue Gemeindeglieder in nennenswerter Zahl zu gewinnen, der oder die haben sich meist geirrt. Fresh Expressions binden gar Mitarbeitende, die dann, wenn sie ein Angebot außerhalb der Gemeinde machen, nicht den Kindergottesdienst in der Gemeinde machen können. – Möglicherweise ist solche Arbeit unser Auftrag. Es schadet nicht, wenn wir (endlich mal) kreativ werden, neue Formen entwickeln, wie wir aus unseren Kreisen heraus kommen.
Was hier fundamental anders ist…
Nachfolge-Postmodern aber ist ein fundamental anderes Umgehen mit der Feststellung, dass die Lebenswelt einiger mit der Realität von Gemeinden nicht zusammen passt. Es geht dabei um die Feststellung, dass Glaube vielfältig ist. – Da gibt es die traditionellen Menschen, die ihre Glaubenssätze im Topf haben möchten, die klare Leitplanken für ihr Leben wünschen. Die davon ausgehen, dass die Welt eben so sei, wie sie sich das denken. Die dürfen ja da sein, so wie sie sind! Aber: Sie müssen (um der Liebe willen) zur Kenntnis nehmen, dass es auch andere gibt. Für die ist die Welt vieldeutig. Richtig und falsch sind nicht für alle so einfach.
Das allein ist für viele Gemeinden (und auch Kirchen) eine Zumutung. Aber: Es gibt bloß die Möglichkeit, dass die, die postmodern denken, entweder wegbleiben oder es zumindest so viel Angebot für sie geben muss, dass sie da bleiben. Sie werden nebenbei ebenso gebraucht wie die, die traditionell denken.
Die Sinus-Jugendstudien zeigen es:
In den Sinus-Millieustudien der letzten Jahre gibt es die meisten Gruppen junger Menschen bis 17 (bzw. anfangs bis 27) Jahre, die kaum in die traditionellen Angebote von Kirchen passen. – Insbesondere gilt das für die postmateriellen Jugendlichen und die experimentalistischen. Bei den Performer-Jugendlichen mit deren Early-Adopter-Mentalität besteht ein großes Risiko, dass die auch in geistlich-gemeindlichen Angeboten ganz vorne mit dabei sind: Sie sind weit eher wechselwillig, sozusagen volatil. Wo laufen die attraktivsten Angebote? Und wenn das nicht Eure Gemeinde ist, liebe Leserin, lieber Leser, dann solltet Ihr Euch um diese Gruppe Sorgen machen.
ICF und einige Pfingstgemeinden beleben die Konkurrenz. Methodisch ganz vorne mit dabei, inhaltlich aber oft eher traditionell. Insbesondere beim Wahrheitsbegriff. Bei den Postmateriellen stellen sich andere Fragen: Wie ist das mit der Nachhaltigkeit unserer Gemeinde? Hier kommen Fridays-for-Future mit Kirchenkaffee zusammen: Wo kommt der Kaffee eigentlich her? Ist der biologisch und fair erzeugt? Und: Auch sonst geht es um Authentizität. Wenn da etwas nicht passt, dann sind die Postmateriellen weg. – Von den Expeditiven spreche ich hier lieber nicht, denn im Augenblick, in dem der Blogbeitrag fertig ist, sind die bereits weiter. Wohin sich diese Gruppe bewegt, ist völlig unvorhersehbar. Möglicherweise ja auch zu alten Formen: Ins Kloster oder zu den Amish.
Klar ist: Unterschiedliche Menschen wünschen sich unterschiedliche Angebote, unterschiedliche soziale Umfelder (z.B. Hauskreise), und zwar möglichst solche, die sie selbst völlig selbstverständlich akzeptieren. Noch etwas Weiteres ist klar: Jemanden zu halten, das ist einfacher, als jemanden neu zu gewinnen. Bei Jugendlichen, die in frommen Familien leben, ist es viel einfacher, diese mit passenden Angeboten als Gemeinde zu versorgen, als sich mit einem christlichen Büchertisch auf den Marktplatz zu stellen, und ganz neue Leute zu suchen. Nebenbei: Ob der Tisch im Internet oder auf dem Marktplatz steht, das wäre auch eine anregende Frage… – Und: Wer braucht denn überhaupt Bücher? Ist das möglicherweise das falsche Medium für die intendierte Zielgruppe?
Der Unterschied:
Nachfolge-Postmodern versucht, Menschen zu halten! Solche, die möglicherweise, wenn sich nichts findet, das ihnen entspricht, abwenden und andere Interessen verfolgen. – Fresh Expressions versuchen, die Menschen auf dem Marktplatz aufzusuchen. Beides ist sinnvoll.
Zugegeben: Diese Website ist ein Nischenprojekt, denn allein der Anteil derjenigen, für die Nachfolge ein Thema ist, ist klein. Etwa 52 % der bundesdeutschen Bevölkerung sind Glied einer der großen Kirchen. Dazu kommen die Freikirchen usw. Wenn wir einmal vom Gottesdienstbesuch ausgehen, sind das etwa drei Prozent der Bevölkerung. Wenn von denen 90 % traditionell denken und glauben, so bleiben zwischen 200.000 und 300.000 Menschen übrig, die eben nicht traditionell glauben, sondern von denen einige in der Postmoderne denkend angekommen sind. Hinzu kommen die aus Österreich, der Schweiz usw. – eben den übrigen deutschsprachigen Regionen, die per Internet erreicht werden können.
Das ist zwar eine Nische, aber keine zu kleine, wie ich finde. Zumal mehr und mehr Christenmenschen in den Gemeinden suchen, wie anders als traditionell die Sätze und Sachverhalte gedacht werden können. Dazu möchte diese Website einen Beitrag leisten.
Fresh Expressions setzen bei denen an, die nicht dazu gehören. Nachfolge-Postmodern setzt bei denen an, die Kirche sind, aber die sich in Kirche(n) nicht (mehr) beheimatet fühlen. Ja, die Zielgruppe von Nachfolge-Postmodern ist aus dieser Gruppe eher auf die gerichtet, bei denen das Unbehagen mit dem Nachdenken zu tun hat. Es geht um den Blick auf die Welt, um die Mehrdeutigkeit statt der traditionellen Eindeutigkeit.
Dass diese Mehrdeutigkeit eben keine Beliebigkeit meint, dürfte aus den letzten Texten hier klar geworden sein. – Wer für alles offen ist, der kann nicht ganz dicht sein.
Neueste Kommentare