Den­ken­de Nach­fol­ge ist ein Gegen­ge­dan­ke zu den Rat­lo­sig­kei­ten, die die dia­lek­ti­sche Theo­lo­gie (Karl Barth und wei­ter dann Rein­hold Nie­buhr) uns zumu­tet. — Dar­um hat das Zitat Botho Strauß’ aus »Paa­re, Pas­san­ten« für mich eine dop­pel­te Bedeu­tung. Ein­mal bricht Strauß mit dem klas­si­schen Erzäh­len. Für mich bedeu­tet es aber auch einen Bruch mit dem theo­lo­gi­schen Den­ken wie es Barth und Nie­buhr betrieben.

Klas­sisch-from­me Kon­zep­te gehen nicht ein­mal so weit. Ent­we­der bleibt unser Den­ken ganz in der Imma­nenz — und Gott ist tran­szen­dent. Oder wir spre­chen (unzu­läng­lich) vom »ganz ande­ren Gott« (mit Barth).

In Kirche nicht aufhören zu denken…

Wir brau­chen nicht ein Ende unse­res Den­kens, da, wo wir mit Gott und dem Hei­li­gen zu tun bekom­men. Viel­mehr brau­chen wir genau das Gegen­teil: Alle unse­re anver­trau­ten guten Gaben, unser Ver­stand, unse­re Emp­fin­dung, alle sind Gaben Got­tes, die wir in rech­ter Wei­se gebrau­chen sollten.

Lei­der ist es noch immer eher anders. So, dass vie­le ein­zel­ne Chris­ten­men­schen und auch man­che Kir­chen und Gemein­den vor­aus­set­zen, dass mit dem Betre­ten des hei­li­gen Berei­ches wir auch einen Schritt zurück, zumin­dest bis vor die Auf­klä­rung machen. Vor­find­lich ist in der from­men Sze­ne eher folgendes:

  • »gedan­ken­lo­se Nach­fol­ge«,
     — Vie­le schal­ten den Ver­stand ab, wenn sie sich als Christ zu ver­ste­hen begin­nen. Sonst den­ken sie schon, im All­tag, im Beruf, bei all die­sen Ent­schei­dun­gen sind die Ver­stan­des­ga­ben vor­han­den. Wer als Absol­vent eines Hoch­schul­stu­di­ums (in einem Beruf oder sonst­wo) vie­les gelernt hat, kann den­ken. Etli­che schal­ten dies in Glau­bens­sa­chen vor­sätz­lich ab.
  • »Nach­fol­ge wider bes­se­res Wis­sen und Den­ken«,
     — So vie­le gibt es, bei denen die Ver­mitt­lung zwi­schen der Pre­digt am Sonn­tag, dem Wunsch nach einem kla­ren, ein­fach-fass­ba­ren Welt­bild, und dem All­tag an den ande­ren Tagen der Woche nicht gelingt. Bei­de Berei­che ste­hen unver­mit­telt neben­ein­an­der. — Daher ist »Glau­be am Mon­tag« ein The­ma in vie­len Gemein­den. — Allein: Es ist ja kein Unglau­be am Mon­tag vor­han­den, son­dern ein Welt­bild am Sonn­tag, das viel­fach nicht für den All­tag passt.
  • »Pas­tor befiehl, wir fol­gen« und
     — All­zu oft wird die Welt schwarz und weiß gezeich­net, ohne Zwi­schen­tö­ne. Hand­lun­gen und Gedan­ken wer­den nach »christ­lich« und »Sün­de« sor­tiert. Natür­lich liebt Chris­tus die Sün­der, aber das mer­ken die schon nicht mehr, weil sie sich als aus­ge­grenzt wahr­neh­men, und dann von selbst weg­blei­ben. Selbst gut gemein­te Kon­zep­te und Theo­lo­gien ver­let­zen immer wie­der. Es gibt zahl­lo­se Opfer. Die Fami­li­en­hil­fe — etwa in Frei­statt und vie­len ande­ren Ein­rich­tun­gen — bie­tet bered­te Beispiele.
  • tra­dier­te Rezep­te, die befolgt wer­den, obwohl sie nicht mehr pas­sen.
     — Hier­bei geht es dar­um, dass alle sehen kön­nen, dass vie­les so nicht mehr funk­tio­niert. Nie­mand aber sagt das. Man macht wei­ter wie gehabt, bis kei­ne Chan­ce mehr zum Umsteu­ern besteht. So führt sich man­che Gemein­de, man­che dia­ko­ni­sche Ein­rich­tung aus gedank­li­cher Bequem­lich­keit zum eige­nen Ende, statt sich bei Zei­ten zu erneu­ern. Gera­de auch im Blick auf Got­tes Auf­trag für eine bestimm­te Zeit. Das kann sich ändern! Eben dazu haben wir unse­re Geistesgaben.

Es han­delt sich um eben dies, wenn Bon­hoef­fer über die Dumm­heit schreibt. Es geht eben nicht um Bos­heit und nicht um Tor­heit (also Erkennt­nis-Unfä­hig­keit), son­dern um eine Ver­dum­mung, die jemand (ger­ne) mit sich machen lässt, es geht um Ver­zicht aufs Den­ken aus Bequemlichkeit:

Dietrich Bonhoeffer Von der Dummheit

Dumm­heit ist ein gefähr­li­che­rer Feind des Guten als Bos­heit. Gegen das Böse lässt sich pro­tes­tie­ren, es lässt sich bloß­stel­len, es lässt sich not­falls mit Gewalt ver­hin­dern, das Böse trägt immer den Keim der Selbst­zer­set­zung in sich, indem es min­des­tens ein Unbe­ha­gen im Men­schen zurück lässt. Gegen die Dumm­heit sind wir wehr­los. Weder mit Pro­tes­ten noch durch Gewalt lässt sich hier etwas aus­rich­ten; Grün­de ver­fan­gen nicht; Tat­sa­chen, die dem eige­nen Vor­ur­teil wider­spre­chen, brau­chen ein­fach nicht geglaubt zu wer­den — in sol­chen Fäl­len wird der Dum­me sogar kri­tisch — und wenn sie unaus­weich­lich sind, kön­nen sie ein­fach als nichts­sa­gen­de Ein­zel­fäl­le bei­sei­te gescho­ben wer­den. Dabei ist der Dum­me im Unter­schied zum Bösen rest­los mit sich selbst zufrie­den; ja, er wird sogar gefähr­lich, indem er leicht gereizt zum Angriff über­geht. Daher ist dem Dum­men gegen­über mehr Vor­sicht gebo­ten als gegen­über dem Bösen.

Nie­mals wer­den wir mehr ver­su­chen, den Dum­men durch Grün­de zu über­zeu­gen; es ist sinn­los und gefähr­lich. Um zu wis­sen, wie wir der Dumm­heit bei­kom­men kön­nen, müs­sen wir ihr Wesen zu ver­ste­hen suchen. Soviel ist sicher, dass sie nicht wesent­lich ein intel­lek­tu­el­ler, son­dern ein mensch­li­cher Defekt ist.

Es gibt intel­lek­tu­ell außer­or­dent­lich beweg­li­che Men­schen, die dumm sind, und intel­lek­tu­ell sehr Schwer­fäl­li­ge, die alles ande­re als dumm sind. Die­se Ent­de­ckung machen wir zu unse­rer Über­ra­schung anläss­lich bestimm­ter Situa­tio­nen. Dabei gewinnt man weni­ger den Ein­druck, dass die Dumm­heit ein ange­bo­re­ner Defekt ist, als dass unter bestimm­ten Umstän­den die Men­schen dumm gemacht wer­den, bzw. sich dumm machen las­sen. Wir beob­ach­ten wei­ter­hin, dass abge­schlos­sen und ein­sam leben­de Men­schen die­sen Defekt sel­te­ner zei­gen als zur Gesel­lung nei­gen­de oder ver­ur­teil­te Men­schen und Men­schen­grup­pen. So scheint die Dumm­heit viel­leicht weni­ger ein psy­cho­lo­gi­sches als ein sozio­lo­gi­sches Pro­blem zu sein. Sie ist eine beson­de­re Form der Ein­wir­kung geschicht­li­cher Umstän­de auf den Men­schen, eine psy­cho­lo­gi­sche Begleit­erschei­nung bestimm­ter äuße­rer Verhältnisse.

Bei genaue­rem Zuse­hen zeigt sich, dass jede star­ke äuße­re Macht­ent­fal­tung, sei sie poli­ti­scher oder reli­giö­ser Art, einen gro­ßen Teil der Men­schen mit Dumm­heit schlägt. Ja, es hat den Anschein, als sei das gera­de­zu ein sozio­lo­gisch-psy­cho­lo­gi­sches Gesetz. Die Macht der einen braucht die Dumm­heit der ande­ren. Der Vor­gang ist dabei nicht der, dass bestimm­te — also etwa intel­lek­tu­el­le — Anla­gen des Men­schen plötz­lich ver­küm­mern oder aus­fal­len, son­dern dass unter dem über­wäl­ti­gen­den Ein­druck der Macht­ent­fal­tung dem Men­schen sei­ne inne­re Selb­stän­dig­keit geraubt wird und dass die­ser nun — mehr oder weni­ger unbe­wusst — dar­auf ver­zich­tet, zu den sich erge­ben­den Lebens­la­gen ein eige­nes Ver­hal­ten zu finden.

Dass der Dum­me oft bockig ist, darf nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass er nicht selb­stän­dig ist. Man spürt es gera­de­zu im Gespräch mit ihm, dass man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm per­sön­lich, son­dern mit über ihn mäch­tig gewor­de­nen Schlag­wor­ten, Paro­len etc. zu tun hat. Er ist in einem Ban­ne, er ist ver­blen­det, er ist in sei­nem eige­nen Wesen miss­braucht, miss­han­delt. So zum wil­len­lo­sen Instru­ment gewor­den, wird der Dum­me auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfä­hig, dies als Böses zu erken­nen. Hier liegt die Gefahr eines dia­bo­li­schen Miss­brauchs. Dadurch wer­den Men­schen für immer zugrun­de gerich­tet wer­den kön­nen. Aber es ist gera­de hier auch ganz deut­lich, dass nicht ein Akt der Beleh­rung, son­dern allein ein Akt der Befrei­ung die Dumm­heit über­win­den könn­te. Dabei wird man sich damit abfin­den müs­sen, dass eine ech­te inne­re Befrei­ung in den aller­meis­ten Fäl­len erst mög­lich wird, nach­dem die äuße­re Befrei­ung vor­an­ge­gan­gen ist; bis dahin wer­den wir auf alle Ver­su­che, den Dum­men zu über­zeu­gen, ver­zich­ten müssen.

In die­ser Sach­la­ge wird es übri­gens auch begrün­det sein, dass wir uns unter sol­chen Umstän­den ver­geb­lich dar­um bemü­hen, zu wis­sen, was »das Volk« eigent­lich denkt, und war­um die­se Fra­ge für den ver­ant­wort­lich Den­ken­den und Han­deln­den zugleich so über­flüs­sig ist — immer nur unter den gege­be­nen Umstän­den. Das Wort der Bibel, dass die Furcht Got­tes der Anfang der Weis­heit sei (Psalm 111,10), sagt, dass die inne­re Befrei­ung des Men­schen zum ver­ant­wort­li­chen Leben vor Gott die ein­zi­ge wirk­li­che Über­win­dung der Dumm­heit ist. Übri­gens haben die­se Gedan­ken über die Dumm­heit doch dies Tröst­li­che für sich, dass sie ganz und gar nicht zulas­sen, die Mehr­zahl der Men­schen unter allen Umstän­den für dumm zu hal­ten. Es wird wirk­lich dar­auf ankom­men, ob Macht­ha­ber sich mehr von der Dumm­heit oder von der inne­ren Selb­stän­dig­keit und Klug­heit der Men­schen versprechen.

(* Diet­rich Bon­hoef­fer. Wider­stand und Erge­bung. Brie­fe und Auf­zeich­nun­gen aus der Haft, hrsg. von E. Beth­ge — S.14ff *)

Ein außergewöhnlicher Lasterkatalg (nein, keine Nutzfahrzeuge)

Eine mei­ner Lieb­lings­stel­len im Neu­en Tes­ta­ment ist Mar­kus 7,21 – 23:

21 Denn aus ihm selbst, aus sei­nem Her­zen, kom­men die bösen Gedan­ken und mit ihnen Unzucht, Dieb­stahl und Mord; 22 Ehe­bruch, Hab­sucht und Nie­der­tracht; Betrug, Aus­schwei­fung und Neid; Ver­leum­dung, Über­heb­lich­keit und Unver­nunft. 23 All das kommt aus dem Inne­ren des Men­schen und macht ihn unrein.

In einem ein­zi­gen neu­tes­ta­ment­li­chen Las­ter­ka­ta­log taucht die »Unver­nunft« auf, und sie steht gleich­sam gleich­ran­gig neben Ehe­bruch und Mord, Hab­sucht und Nie­der­tracht etc. — Wenn Bon­hoef­fer recht hat, dann ist die Dumm­heit eben kein »nicht-Den­ken-Kön­nen«. Es han­delt sich viel­mehr um eine Ent­schei­dung aus Bequem­lich­keit. Ja, es gibt vie­le, die die Dumm­heit ande­rer ger­ne sehen und die­se beför­dern. Aber es braucht auch die, die sich ver­dum­men lassen.

Bon­hoef­fer zitiert Psalm 111,10: »Den HERRN stets ernst zu neh­men, damit fängt alle Weis­heit an.« (so die Gute Nach­richt). »Die Furcht des HERRN ist der Anfang der Weis­heit.« (Luther­bi­bel) Die­ses Lob der Weis­heit zieht sich durch vie­le der alt­tes­ta­ment­li­chen Tex­te: In Sprü­che 1 wer­den Ein­sicht, ech­te Bil­dung, Weis­heit gelobt, und zwar als Got­tes Gaben. Ja, mir ist bewusst, dass die so genann­te »Kri­se der Weis­heit«, also etwa das Buch Prediger/Kohelet oder Hiob auch die Gren­ze der Weis­heit benen­nen. Psalm 139 etwa (und Pre­di­ger, Psal­men usw.) stel­len klar, wie wenig wir erken­nen können.

Werkzeuge haben Anwendungsfälle — und Grenzen ihrer Eignung

Wie bei jedem Werk­zeug muss man die rech­te Anwen­dung ken­nen, die Zwe­cke, zu denen es ein­ge­setzt wer­den kann, und dann auch die Gren­zen, die Fäl­le, in denen die­ses Werk­zeug nichts nützt. Kir­chen und Gemein­den, die die Mit­tel nut­zen, die zur Ver­fü­gung ste­hen, tun gut dar­an. Ohne den Buch­druck hät­te die Refor­ma­ti­on so nicht statt­fin­den kön­nen. Heu­te steht das Inter­net mit Blogs, Pod­casts und You­tube und man­chem mehr zur Ver­fü­gung. Soll­ten wir das nicht nutzen?

Noch zwei Hin­wei­se auf den­ken­de Nach­fol­ge: Die Brie­fe im Neu­en Tes­ta­ment argu­men­tie­ren. Sie appel­lie­ren, aber nicht auf­grund sons­ti­ger Auto­ri­tät, son­dern vor allem auf­grund der ange­bo­te­nen Model­le, wie vom Glau­ben gedacht und ent­spre­chend gehan­delt wer­den kann. Stell­ver­tre­tend nen­ne ich den Römer­brief, in dem Pau­lus für sei­ne Theo­lo­gie wirbt, für sein Den­ken über Gott und die Men­schen. — Jesus lehrt in Voll­macht (Mar­kus 6,2 z.B.), was die Men­schen aus Naza­ret ver­blüfft. Er ist doch aus ein­fa­chen Ver­hält­nis­sen, aus einer Zim­mer­manns-Fami­lie. Wie­so  kann der so leh­ren? Die Leu­te beur­tei­len das, was sie hören, und zwar indem sie es in Ver­bin­dung zu dem brin­gen, was sie ken­nen. — Den­ken­des Beurteilen.

Noch etwas zum The­ma der den­ken­den Nach­fol­ge bzw. der Dumm­heit: Im 1. Petrus 2,15: »Denn Gott will, dass ihr durch eure Taten alle zum Schwei­gen bringt, die aus Dumm­heit und Unwis­sen­heit gegen euch reden.« — Hier argu­men­tiert der Autor des Brie­fes, dass die Emp­fän­ger durch ihr Han­deln, ihre geleb­te Ethik, die zum Schwei­gen brin­gen sol­len, die aus Unwis­sen­heit und gedank­li­cher Bequem­lich­keit gegen die Chris­ten reden. Unwis­sen­heit und Dumm­heit, das sind rea­le Gefah­ren — in heu­ti­gen Chris­ten­ver­fol­gun­gen, bei Hass­kri­mi­na­li­tät hier oder anderswo.

Falsifizierbarkeit und historischer Kontext: Gamaliel

Den­ken­de Nach­fol­ge weiß um ihre Mög­lich­kei­ten und ihre Gren­zen. Und wenn die Din­ge sau­ber gedacht und for­mu­liert wer­den, dann lie­fert man die Kri­te­ri­en mit, an denen sich zeigt, ob ein Gedan­ke falsch ist, unhalt­bar. So wie Gam­a­liel, der Leh­rer des Pau­lus, ein Pha­ri­sä­er im Hohen Rat in Apos­tel­ge­schich­te 5,33ff.

Er weiß um die Vor­komm­nis­se in der Geschich­te. Er weiß auch, dass sich die meis­ten von selbst erle­digt haben. Sie waren eben nicht von Gott ein­ge­setzt. In sol­chen Fäl­len genügt es abzu­war­ten. — Wenn es mit die­ser neu­en Grup­pe der »Chris­ten« eben­so ist, dann braucht man kei­ne Gewalt, das Pro­blem wür­de sich von selbst erle­di­gen. Wenn es aber tat­säch­lich eine von Gott gewoll­te Bewe­gung ist, dann kann man die ohne­hin nicht aufhalten.

»[…] Geht nicht gegen die­se Leu­te vor! Lasst sie lau­fen! Wenn das, was sie wol­len und was sie da ange­fan­gen haben, nur von Men­schen kommt, löst sich alles von selbst wie­der auf. 39 Kommt es aber von Gott, dann könnt ihr nichts gegen sie machen. Wollt ihr am Ende als Leu­te daste­hen, die gegen Gott kämp­fen?« (Apos­tel­ge­schich­te 5,38f, GNB)

Er bie­tet aber noch mehr an: Ein Kri­te­ri­um der Prü­fung der Fal­si­fi­zier­bar­keit des Anspruchs der jun­gen Chris­ten, dass Jesus der ver­hei­ße­ne Mes­si­as bzw. Chris­tus sei. Ein­fach abwar­ten. Auch wenn hier kei­ne aus­drück­li­che Zeit­an­ga­be genannt ist, lässt sich aus den genann­ten his­to­ri­schen Bei­spie­len doch able­sen, dass es um eini­ge Jahr­zehn­te geht.

Die­ser Mut des Gam­a­liel, ein Ver­fah­ren anzu­bie­ten, das in einer unge­wis­sen Situa­ti­on eine Ent­schei­dung des Hohen Rates begrün­den kann, ist unge­wöhn­lich. Die Mehr­zahl der Dis­kus­si­ons­bei­trä­ge (die uns nicht über­lie­fert sind) wer­den eher poli­ti­scher Natur gewe­sen sein. Schließ­lich fürch­te­te der Hohe Rat um sei­ne theo­lo­gi­sche Deu­tungs­ho­heit, denn die Chris­ten erreg­ten Auf­se­hen und hat­ten gewal­ti­ge Wachs­tums­ra­ten, die wir uns heu­te nur wün­schen können.

Koinzidenz ist keine Ursache-Wirkung-Beziehung

Wir erle­ben einen Rück­gang in christ­li­chen Kir­chen und Gemein­den. Sowohl die Men­schen, die sich als zuge­hö­rig ver­ste­hen, wer­den weni­ger, als auch die Anzahl der­je­ni­gen, die mit­ar­bei­ten und sich ein­brin­gen, ja, sogar die Anzahl der­je­ni­gen, die an Jesus als den Chris­tus glau­ben, sinkt.

Zu glei­cher Zeit gab es von deut­schen Uni­ver­si­tä­ten vie­le Ant­wor­ten auf Fra­gen, die sich in Gemein­den nicht stell­ten. All­ge­mein fan­den vie­le »From­me« ins­be­son­de­re die so genann­te »his­to­risch-kri­ti­sche Metho­de« der Aus­le­gung bibli­scher Tex­te, aber auch das Pro­gramm der »Ent­my­tho­lo­gi­sie­rung« (Rudolf Bult­mann) uner­freu­lich und nicht glau­bens­för­dernd. Die­se gemeind­li­che Kri­tik an man­chen The­men uni­ver­si­tä­rer Theo­lo­gie fand einen gewis­sen Höhe­punkt in den Kon­tro­ver­sen um Gerd Lüde­mann, den gewe­se­nen Göt­tin­ger Neu­tes­ta­ment­ler, der fand, die Auf­er­ste­hung nicht anneh­men zu können.

Gewiss sind die­se Kon­zep­te eines Nach­den­kens über Inhal­te, Zeug­nis­se und Metho­den des frü­hen Chris­ten­tums nicht dar­auf opti­miert, den Gemein­den maxi­ma­len Nut­zen zu brin­gen. Und doch: Es geht ja auch anders. Wer eine Gleich­zei­tig­keit mit einer Ursäch­lich­keit ver­wech­selt, arbei­tet unsau­ber. Ja, es gibt die­se Theo­lo­gien. — Ja, es gibt einen Rück­gang der Anzahl der­je­ni­gen, die sich als Chris­ten ver­ste­hen. Ein Ursa­che-Wir­kungs-Zusam­men­hang wäre aber noch zu belegen.

Ich sehe eine gan­ze Anzahl ande­rer Kon­zep­tio­nen theo­lo­gi­schen Den­kens, die ich als sehr wohl hilf­reich anse­he. Das aber wäre ein The­ma für einen ande­ren Arti­kel. Mir fällt bloß auf, dass es eine Art von »Furcht vor Uni­ver­si­täts-Theo­lo­gien« aus der from­men Ecke gibt, die ich nicht nach­voll­zie­hen kann. Schlech­te Theo­lo­gien, die in die gedank­li­che Aus­weg­lo­sig­keit füh­ren, sind ein Anreiz, gründ­lich und wei­ter zu den­ken. Eben nicht stehenzubleiben.

Mit ande­ren Wor­ten: Die Lösung für nicht hilf­rei­ches Den­ken besteht nicht dar­in, das Den­ken ein­zu­stel­len oder auf einen Stand von vor der Auf­klä­rung zurück zu dre­hen. Viel­mehr soll­ten wir danach suchen, wo es hilf­rei­che Gedan­ken gibt, die in Gebrauch genom­men und mög­li­cher­wei­se wei­ter ent­wi­ckelt wer­den kön­nen. Sol­che sind vor­han­den. Bloß nicht zu früh resi­gnie­ren. Frü­her war eben nicht alles bes­ser, es war bloß anders. — Bei einer Blind­darm-Ope­ra­ti­on käme ja auch nie­mand auf die Idee, die­se mit »his­to­ri­schen Instru­men­ten« in »his­to­ri­scher Auf­füh­rungs­pra­xis« aus­füh­ren zu lassen.

Pragmatisch — statt nach Wirklichkeit zu fragen…

Wofür und zu wel­chen Zwe­cken brau­chen wir über­haupt eine Theo­lo­gie aus der Sicht der Gemein­den bzw. ein­zel­ner Chris­ten­men­schen? — Mei­ne Ein­schät­zung: Zur Ent­schei­dung in Streit­fra­gen, zur Reduk­ti­on auf die je unter­schied­li­chen (ent­we­der) Annah­men (oder) Metho­den, wie (aus­ge­hend von den Annah­men) jemand zu Schlüs­sen gelangt. Es geht also nicht dar­um, aus­zu­sa­gen, wie die Welt ist, wie Gott ist oder der Mensch. Es geht viel­mehr um gül­ti­ge Schlüs­se aus gemein­sam aner­kann­ten Annahmen.

Fer­ner geht es um eine angeb­ba­re Posi­ti­on, die for­mu­liert wer­den kön­nen soll­te. Wenn eine Gemein­de z.B. die Glau­bens­tau­fe prak­ti­ziert, soll­te sie sagen kön­nen, war­um sie dies tut und erwar­tet, gera­de wenn es um den Dia­log mit Men­schen geht, die mög­li­cher­wei­se als Klein­kin­der getauft wur­den und bei denen sich nun die Fra­ge stellt, ob sie sich »wie­der­tau­fen« las­sen sol­len oder ob die Kin­der­tau­fe eben kei­ne Tau­fe (im eigent­li­chen Sin­ne des Wor­tes) war. — Angeb­ba­re Posi­tio­nen hel­fen auch im Kir­chen­li­chen Unter­richt, in der Kate­che­se, im Kon­fir­ma­ti­ons­un­ter­richt. Man muss ja sagen kön­nen, was hier geglaubt wird.

Sagen zu kön­nen, was ich glau­be, das hilft auch beim Dia­log zwi­schen Chris­ten­men­schen etwa in einem Haus- oder Bibel­kreis. In einer sol­chen Grup­pe bin ich (als Metho­dist) mit einem rus­sisch-ortho­do­xen, eini­gen ev.-luth. und einem refor­mier­ten Chris­ten. Für unse­re Zwe­cke genügt es, den Raum des Ver­ste­hens bibli­scher Tex­te zu beschrei­ben. Wer da nun abso­lut rich­tig liegt, inter­es­siert mich nicht nur nicht, ich hal­te es nicht ein­mal für ent­scheid­bar, und also für eine »Scheinfra­ge«.

Zwei biblische Texte zum Abschluss

Zum Schluss zurück zu zwei bibli­schen Tex­ten, die bei­de bereits am Anfang vorkamen:

»[…] Nichts, was der Mensch von außen in sich auf­nimmt, kann ihn unrein machen. Nur das, was aus ihm her­aus­kommt, macht ihn unrein!« (Mar­kus 7,15)

ich mei­ne, dass das auch für die Gedan­ken gilt, die ich höre, lese, prü­fe, qua­si ver­daue. Vie­les ist ohne Nähr­wert und es wird wie­der ausgeschieden.

»Aber das«, fuhr er fort, »was aus dem Men­schen selbst her­aus­kommt, das macht ihn unrein! 21 Denn aus ihm selbst, aus sei­nem Her­zen, kom­men die bösen Gedan­ken und mit ihnen Unzucht, Dieb­stahl und Mord; 22 Ehe­bruch, Hab­sucht und Nie­der­tracht; Betrug, Aus­schwei­fung und Neid; Ver­leum­dung, Über­heb­lich­keit und Unver­nunft. 23 All das kommt aus dem Inne­ren des Men­schen und macht ihn unrein.« (Mar­kus 7,20 – 23)

Gedank­li­che Bequem­lich­keit ist eine Gefahr, Nie­der­tracht, Aus­schwei­fung, Über­heb­lich­keit, klar. Wir kön­nen unse­re gesam­ten Geis­tes­ga­ben ver­bre­che­risch nut­zen (wie alle ande­ren Gaben). Und des­halb ist es um so wich­ti­ger, dass Weis­heit und Erkennt­nis, die Gott schen­ken und wach­sen las­sen möge, unse­re Aus­rich­tung bei allem Den­ken blei­ben. Es geht schließ­lich nicht ums »Den­ken an sich«, son­dern um Nach­fol­ge, aber um eine sol­che, die den­kend geschieht.

23 Durch­for­sche mich, Gott, sieh mir ins Herz, prü­fe mei­ne Wün­sche und Gedan­ken! 24 Und wenn ich in Gefahr bin, mich von dir zu ent­fer­nen, dann bring mich zurück auf den Weg zu dir! (Psalm 139,23f)

F.W., 14. – 16. Juni 2020