Die Erwartungen an Predigten sind hoch: Trösten sollen sie, Lehren in größter Klarheit. Relevant muss eine Predigt sein für das Leben derjenigen, die sie hören. Andererseits ist die Kommunikationsform (einer redet, viele hören zu) nicht mehr so ganz in der Zeit. Dialog auf Augenhöhe ist eher gefragt.
Wenn alles schläft und und einer spricht, das nennt der Mensch dann Unterricht. — Mit Predigten soll es anders sein. Aber: Wie kann es eigentlich sein? Wie kann Predigt in den Zeiten funktionieren, in denen Sprache stets auch als Zitat verstanden wird? In Zeiten, in denen wir eben nicht mehr ausgehen vom auktorialen Erzähler? Wenn die Formulierungen aus dem Thesaurus stammen?
Wir gehen ja aus davon, dass es eher auf die Rezeption, also darauf ankomme, was die Hörenden hören, als auf das, was die Predigende möglicherweise (a) tatsächlich gesagt hat oder (b) hat sagen wollen. Mir ging es wiederholt so, dass ich nach Predigten für etwas gelobt wurde, das ich nicht gesagt habe. Das auch (prüfbar) nicht im Manuskript steht. — Wohlgemerkt: Es geht mir eher so in anderen als meiner eigenen Gemeinde.
Die Intertextualität und das Zitat
Wenn ich über einen (biblischen) Text oder ein Thema nachdenke, vielleicht etwas notiere, das in eine Predigt eingehen kann, so denke ich ja im Zusammenhang mit den anderen Texten, die ich kenne und schätze. Mit den Motiven aus der Literatur, dem Film usw. Wenn ich an »schleichenden Glaubensverlust« denke, so denke ich es mit den Worten: »Kam ihnen ihr Glaube abhanden, wie andern ein Stock oder Hut« und, ja, das ist ein Zitat aus einem Gedicht Erich Kästners.
Ich lebe und ich formuliere nicht im luftleeren bzw. sprachlosen Raum. Bei mir kommen Gedanken und Modelle aus anderen Texten vor, weil ich denke, dass manche, die das Zitat, das Motiv oder die Anspielung erkennen, meinen Text als Kürzel verstehen. Die anderen hören es — und sie gehen darüber hinweg.
Wohl gemerkt: Ich nehme auch Triviales gerne auf. Forme mit meinen Händen eine Raute und nenne das Weggehen des jüngeren, verlorenen Sohnes, »alternativlos«. So kann also — durch die Intertextualität — in kurzer Zeit auf einer zweiten Ebene mehr gesagt werden, als ich eigentlich gesagt habe bzw. habe sagen müssen.
Reframing bzw. Umdeutung der Narrative
Gleichzeitig zur kleiner werdenden Welt mit dem Internet und Strömen von Waren und Dienstleitungen allenthalben, wird die Welt auch kompliziert. Wir sehnen uns nach Heimat, nach dem kleinen und verstehbaren Bereich, den wir kontrollieren können. So werden allerorten nationalistischen und identitäre Bewegungen sichtbar.
Auch viele klassisch christianisierte Menschen, denen »die Weltmission« ein Anliegen ist, die fühlen sich mitunter durch die Postmoderne in Glaubensdingen eher unwohl. Die Entmythologisierung mag ja bei den schwabschen Sagen des klassischen Altertums noch angehen, aber bitte nicht bei den Bekenntnisschriften angewandt werden. Oder gar beim Worte Gottes. So haben wir gleichzeitig zur hohen Individualisierung unseres Alltags, unserer Arbeitswelt und unserer Interessen einen Trend zur Fundamentalisierung unseres Glaubens. Ich erlebe dies als Großtrend gerade in der freikirchlichen Szene hierzulande vielfach und vielfältig. Es ist ein Gegentrend zur Erosion des Glaubens in eher liberalen Zusammenhängen (etwa in Großkirchen), die offenbar zunehmend an Relevanz für das Leben der einst dort beheimateten Christenmenschen verloren haben. Das manifestiert sich nun dort in der Austrittswelle.
Fern liegt es mir, jemandes Glauben zu verletzen — oder gar die Menschen an sich. Grenzen so eines vor-modernen Denkens aufzuzeigen, das halte ich aber für erforderlich, weil wir — im Bild gesagt — sonst in Teufels Küche kommen. Wir fahren durch vormoderne dogmatische Engführungen an bestimmten Stellen gegen die Wand — und haben bloß die Wahl, welche Wand wir beschädigen möchten.
Mir geht es um einen dritten Weg, um ein »zwischen Skylla und Charybdis«, zwischen (postmoderner) Beliebigkeit und dem verlorenen Garten Eden der Eindeutigkeiten. Mir geht es um eine Predigt im Sinne des »post-postmodernen Erzählens«. Wir wissen nicht, was das alles bedeutet, aber: Es zeigt sich, dass es etwas bedeutet, dass Gott handelt im Leben der Einzelnen und der Gemeinden. — Dass Texte zwar nicht eindeutig sind, aber in ihrer Vieldeutigkeit eben auch nicht beliebig (vgl. Eco, Grenzen der Interpretation).
Liebe als Maßstab
Leicht kann man Menschen abhängen und verletzen. Das möchte ich nicht. Sicher: Diese Website ist eher nicht für die breite Gemeindeöffentlichkeit gedacht. Hier geht es um Gedanken aus der Werkstatt, die manchen, die an anderen Orten auch werkeln, möglicherweise nutzen können. Es geht hier aber nicht direkt um Gemeindearbeit. Es geht aber schon darum, dass ich auch dies Nachdenken, diese Reflexion über das, was ich eigentlich tue und tun möchte, als eine geistliche Tätigkeit verstehe. Etwas, was Teil meiner Nachfolge sein soll.
Insofern ist mir wichtig, dass ich nicht verletze, wenn ich predige. Und auch dann, wenn ich selbst mit manchen Predigtstilen und Formen wenig anzufangen weiß, meide ich — auch hier — Schmähkritik. Die Art, wie andere Gott loben, sollte man nicht kritisieren: Als Davids Frau ihm vorwarf, dass er als König doch nicht so vor der Bundeslade tanzen könne, war das schon falsch. Heute haben wir hier eine weit größere Vielfalt.
Ist das Modell »Predigt« noch vertretbar?
Diese Frage stellt sich mir in zweifacher Hinsicht. Einmal geht die Frage dahin, ob es hinsichtlich des Aufwands vertretbar ist: Wenn ein/e Pastor/in 20 % seiner oder ihrer Wochenarbeitszeit auf das Erstellen einer Predigt verwendet, muss man die Frage zumindest einmal stellen. Sind hier Nutzen und Aufwand in der Balance? Wäre es nicht besser, mit rund acht Stunden pro Woche etwas anderes zu tun? Hierzu habe ich selbst keine klare Antwort. Ich überlege schon, ob nicht zum Beispiel ein Dialog als Podcast in einem Viertel der Zeit deutlich wirksamer sein kann.
Die andere Hinsicht ist die der zugestandenen Autorität für jemanden, die oder der predigt. Ist das eigentlich noch dran, dass jemand den vielen sagt, wo es geistlich lang geht? Ist das Modell nicht eigentlich vormodern, letztlich feudalistisch? Auch hierzu habe ich mehr Fragen als fertige Antworten. Mir scheint, dass der Austausch in einer Gruppe auf Augenhöhe eher dazu angetan ist, mich geistlich weiter zu bringen. — Das aber gilt für mich.
Kurzum: Die Form geistlicher Rede scheint, zumal in kleinen Gemeinden, zunehmend weniger angebracht. In der adventistischen Gottesdienstform mit einem Gruppengespräch im ersten Teil ist hier viel Gutes angelegt. Auch das aber halte ich — zumal mit dem Predigtgottesdienst anschließend, zu dem etliche dazu kommen, die zuvor nicht da waren — noch nicht für das Gelbe vom Ei. Wo Gemeinde klein sind, sollten dialogische Formen mehr gepflegt werden. Wo eine Predigt für eine Megachurch erstellt wird, passt sie zwar individuell nicht unbedingt, aber das Verhältnis von Aufwand zu potenziellem Nutzen verschiebt sich allen durch die hohe Anzahl der Hörenden zum Positiven.
Wir leben in ungewissen Zeiten. Aber dadurch, dass wir miteinander als Nachfolgende unterwegs bleiben, können wir einander weiterbringen. Auf mögliche Reaktionen oder Antworten bin ich gespannt. Kontakt im Impressum.
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